Parlamentskorrespondenz Nr. 1114 vom 12.10.2022

Nationalrat beschließt Abschaffung der kalten Progression

ÖVP, Grüne, FPÖ und NEOS tragen neues Teuerungs-Entlastungspaket der Regierung mit; SPÖ bezweifelt Wirksamkeit der Maßnahmen

Wien (PK) – Die Abschaffung der kalten Progression wurde heute im Nationalrat im Anschluss an die Budgetrede von Finanzminister Magnus Brunner debattiert und nach einem komplexen Abstimmungsvorgang schließlich mehrheitlich beschlossen. Außerdem fiel die Entscheidung, die Beantragungsfrist für den Energiekostenausgleich zu verlängern. Brunner bezeichnete das Gesetzespaket als einen "Akt der Fairness". Gemeinsam mit den Sozialleistungen würden dadurch die schwächsten Haushalte am stärksten entlastet.

ÖVP, Grüne, FPÖ und in Dritter Lesung letztlich auch die NEOS stimmten für den Gesetzesentwurf zur Abschaffung der schleichenden Steuererhöhung vulgo kalte Progression, das sogenannte Teuerungs-Entlastungspaket Teil II. Die SPÖ wandte sich gegen die Regierungsvorlage, da sie konkrete Regelungen zur sozialen Treffsicherheit der Maßnahmen und zur Gegenfinanzierung vermisst. Die NEOS hatten im Finanzausschuss ihre Zustimmung an einen Abänderungsantrag zum Gesetzesvorschlag geknüpft, den sie heute im Plenum einbrachten, für den sie aber keine Mehrheit fanden. Dabei ging es um die im Rahmen der Lohnnebenkostensenkung angestrebte Senkung der Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), die laut Gesetzesentwurf auf Kollektivvertragsbasis bzw. per Betriebsvereinbarung umgesetzt werden sollte. SPÖ und FPÖ versuchten ebenfalls ohne Erfolg, mit Anträgen ihre Ansätze zur Steuerentlastung der Bevölkerung in das Gesetz einfließen zu lassen. Zentrale Forderung beider Parteien ist die Abgeltung der aktuellen Inflation von 10%.

Der Fristverlängerung zur Antragstellung für den Energiekostenausgleich bis 31. Oktober 2022 stimmten neben ÖVP und Grünen auch die NEOS zu. SPÖ und FPÖ ist die Bindung der Förderung an einen Energieliefervertrag ein Dorn im Auge.

Abschaffung der kalten Progression durch Anhebung der Tarifstufen

Entgegengewirkt werden soll der schleichenden Steuererhöhung durch höhere Steuerklassen bei Lohnerhöhungen gemäß Teuerungs-Entlastungspaket Teil II mit folgenden Maßnahmen: die Einkommensteuertarife werden jährlich automatisch um zwei Drittel der Inflationsrate angepasst, Einkünfte im Umfang des verbleibenden Drittels nach sozialökonomischen Parametern weiter entlastet, die Besteuerungsgrenzen in der Land- und Forstwirtschaft werden erhöht und der Dienstgeberbeitrag von 3,9% auf 3,7% gesenkt. Für das Jahr 2023 ist eine automatische Anhebung der Einkommensgrenzen im Lohn- und Einkommensteuerrecht um 3,46% vorgesehen, wobei den beiden untersten Tarifstufen eine außertourliche Anhebung um insgesamt 6,3% zur Abfederung der aktuellen Teuerung zuteilwird. Berechnungen gehen im nächsten Jahr von 1,85 Mrd. € weniger Steuerlast für die Bevölkerung aus, 2024 von bereits 4,38 Mrd. € Entlastung. Weiters wird das variable Entlastungsdrittel dafür genutzt, verschiedene Absetzbeträge wie den Alleinverdienerabsetzbetrag und den Pensionistenabsetzbetrag um die volle Inflationsrate von 5,2% (statt 3,46%) anzuheben.

Finanzminister Brunner: Kaufkraft wird langfristig gestärkt

Einen "nachhaltigen Systemwechsel zugunsten der Steuerzahler:innen" stellten die Maßnahmen - Finanzminister Brunner zufolge - dar, man gebe den Menschen "das Geld zurück": zwei Drittel automatisch, ein Drittel an die ersten zwei Tarifstufen, die davon "überproportional" entlastet würden. Die Höhe der Inflation in den Berechnungen beruhe auf Werten von WIFO und IHS. Volkswirtschaftlich bedeutet die Abschaffung der kalten Progression für Brunner ein "Mehr an Kaufkraft", wodurch die Wirtschaft wachse und Arbeitsplätze schaffen könne.

SPÖ: Kein gerechter Verteilungseffekt der Maßnahmen

Die Inflation von 10% werde mit dem Gesetzespaket keineswegs vollständig abgegolten, zeigte Christoph Matznetter (SPÖ) auf und verneinte die soziale Treffsicherheit der Maßnahmen. "Das ärmste Fünftel der Bevölkerung bekommt 80 €, das reichste 436 € ab." Mit einem Abänderungsantrag zum Regierungsvorschlag forderte er eine vollständige, gendergerechte und sozialpolitisch verantwortliche Abschaffung der kalten Progression. Im Einklang mit Matznetter kritisierte Kai Jan Krainer (SPÖ) generell, die Bundesregierung führe keine nachhaltige Budgetpolitik, sondern tätige nur horrende Ausgaben ohne Wirkung. "Es geht nicht darum, dass Sie zu wenig Geld ausgeben, sondern falsch", so Krainer, die Probleme würden nicht an der Wurzel gepackt. "Sie verbrennen Steuergeld", das eigentlich für "wichtige Zukunftsinvestitionen benötigt werde. So habe der Staat während der COVID-Krise Unternehmensmieten übernommen, anstatt die befristete Einstellung von Mietzahlungen zu veranlassen und Übergewinne von Stromkonzernen würden weiterhin nicht besteuert, erläuterte Krainer seinen Vorwurf.

FPÖ: Höhere Inflationsanpassung nötig

Die Zustimmung seiner Fraktion zum Anti-Teuerungspaket begründete Hubert Fuchs (FPÖ) damit, dass die FPÖ eine derartige Steuererleichterung schon seit 26 Jahren fordere. Dennoch meldete er mehrere Kritikpunkte an, die sich vor allem auf die Höhe der Anpassungen bezogen, die in der Regierungsvorlage unter der tatsächlichen "Rekordinflation" von 10% lägen. Zudem bemerkte er, die Verteilung des verbleibenden Drittels bei der Inflationsanpassung sei zu komplex angelegt, wodurch die Mittel "zweckentfremdet" verwendet werden könnten. Verwaltungsvereinfachungen, besonders für kleine Gewerbebetreibende, fehlten überhaupt.

Kein gutes Haar ließ Fuchs am geplanten Budget für die nächsten Jahre, es sei ein "Manifest der Verantwortungslosigkeit". Mit den "Rekordschulden" drohe der Republik eine Herabstufung auf den internationalen Finanzmärkten. Österreich werde weder 2023 noch 2026 die Maastricht-Kriterien einhalten können. Die Regierung befasse sich nicht mit den Ursachen der Krise, bemängelte Fuchs, das zeige sich etwa an der Einführung der "CO2-Strafsteuer", die die Inflation weiter anheize. "Dafür gibt es den Klimabonus für Asylwerber und Gefängnisinsassen".

NEOS: Regierung arbeitet nach Gießkannenprinzip

"Einmal mehr packen Sie die Gießkanne aus", warf Beate Meinl-Reisinger (NEOS) Finanzminister Brunner vor, ärmere Haushalte würden dabei nicht zielgerichtet unterstützt: nur 3% des Gesamtentlastungsvolumens kämen dieser Gruppe zugute. Die Regierung arbeite nach dem Prinzip "koste es was es wolle", verwies sie auf die Teuerungsentlastungspakete mit Einmalzahlungen für alle. Die NEOS stützen dagegen ihre Politik laut Klubobfrau Meinl-Reisinger auf den Grundsatz "Menschen sollten sich aus eigener Leistung höhere Preise leisten können". Dazu brauche es Entlastungen bei Lohnnebenkosten, da Unternehmen unter dem Druck der steigenden Energiepreise und der Inflation den Mitarbeiter:innen keine höheren Gehälter zahlen könnten.

Konkret zum Teuerungsentlastungspaket sagte sie, die kalte Progression werde damit keineswegs völlig abgeschafft, vielmehr stelle das Regierungsvorhaben nur "einen teilweisen Verzicht" auf höhere Steuereinnahmen dar. Weitere Belastungen würden auf die Steuerzahler:innen zukommen, so Meinl-Reisinger und sie appellierte, die kalte Progression rückwirkend schon heuer abzuschaffen "und zwar zu 100% und nicht zu zwei Dritteln." Gerald Loacker (NEOS) brachte einen Abänderungsantrag zur Umsetzung der NEOS-Forderungen ein, um die Maßnahmen für Frauen und Jüngere wirksam zu machen, wie er sagte. Derzeit werde das Geld vor allem für die Pensionen herangezogen.

ÖVP: Kalte Progression gänzlich abgeschafft

"Wir schaffen die kalte Progression ab", wies August Wöginger (ÖVP) die Vorhaltungen der Opposition zurück, und zwar zu "100%", wie er vorrechnete. Durch die Anhebung der steuerfreien Einkommensgrenze auf 11.693 € und die Anhebung der Tarifstufen würden 2023 bei einem Durchschnittseinkommen rund 400 € mehr "im Geldbörsl" bleiben, bis 2026 erhöhe sich die Summe auf 3.500 € pro Jahr. Die steuerlichen Belastungen von "hunderten Millionen Euro" werde den Menschen zurückgegeben, und zwar "sofort".

Insgesamt sei die Budgetpolitik der Regierung von "historischen Beschlüssen" geprägt, nannte Wöginger etwa die Valorisierung der Familien- und Sozialleistungen und die Strompreisbremse. Dementsprechend nannte Karlheinz Kopf (ÖVP) die langjährig geforderte Abschaffung der kalten Progression einen "historischen Schritt", die Kritik der Opposition konnte er ebenfalls nicht nachvollziehen. Schon um den sozialen Frieden im Land in Krisenzeiten zu erhalten, bedürfe es "enormer politischer Anstrengungen", gab er zu bedenken, eben auch in Form von "großzügigen Entschädigungen" an Betriebe, die unter Corona-Maßnahmen gelitten hatten. Da eine Entkoppelung des Strom- vom Gaspreises in Europa nicht gelinge, müsse die Regierung Betriebe und Menschen finanziell unterstützen, um eine "Deindustrialisierung" samt verheerendem Wohlstandsverlust zu verhindern.

Grüne: Ende des Steuerhortens

Die Regierung gehe Reformen an, die schon seit Jahren angekündigt werden, fasste Jakob Schwarz (Grüne) zusammen, das werde deutlich bei der Pflegereform, der Dekarbonisierung der Industrie oder der Abschaffung der kalten Progression. Bislang habe man die Steuern lieber "eingesammelt" und kurz vor Wahlen wieder ausbezahlt, verwies er auf frühere Praktiken der Steuerpolitik. Das vorliegende Paket bringe dagegen langfristig wirksame Ersparnisse bei der Einkommenssteuer, was insbesondere aufgrund der Teuerung wichtig sei. Die soziale Treffsicherheit sei ein zentraler Faktor bei der Gestaltung gewesen. Seine Fraktionskollegin Olga Voglauer (Grüne) verdeutlichte dies am Bundesvoranschlag für die kommenden Bildungsausgaben, wonach "die Kleinsten und Jüngsten" 1 Mrd. € zusätzlich erhalten sollten, unter anderem durch das Schulausbauprogramm.

Hinsichtlich der Unterstützung für die Landwirtschaft gab Voglauer zu bedenken, Bäuerinnen und Bauern zählten zu den Personen mit einem "der niedrigsten durchschnittlichen Einkommen" in Österreich, obwohl ihre Arbeit "7 Tage pro Woche" andauere. Aus diesem Grund würden nun auch die Landwirt:innen von Inflationsanpassungen  profitieren. Sie bezog sich dabei auf die im Teuerungsentlastungspaket vorgesehene Erhöhung der Umsatzgrenze für die steuerliche Pauschalierung in der Land- und Forstwirtschaft von 400.000 auf 600.000 €. Im Sinne der Entlastung der gesamten Bevölkerung brauche es eine "Schulterschluss-Politik" der Parteien, appellierte die Grünen-Mandatarin, denn "die Zeiten sind herausfordernd", wie Abgeordneter Schwarz festhielt.

150 €-Energiegutschein: Antragsmöglichkeit verlängert

Mehr Personen sollten die Möglichkeit haben, vom Energiekostenausgleich zu profitieren, wird der gemeinsam mit dem Teuerungs-Entlastungspaket II verhandelte Initiativantrag der Koalitionsparteien auf Verlängerung der Einreichfrist begründet. Nach derzeitiger Rechtslage konnten die Gutscheine zum Energiekostenausgleich in der Höhe von 150 € nur bis Ende August 2022 bei einem Stromanbieter eingereicht werden. Neben der Verlängerung der Einreichfrist bis Ende Oktober 2022 wird auch die Frist für die Vorlage der Daten zur Einlösung auf 31. März 2023 verschoben. Von Hermann Brückl (FPÖ) kam der Einwand, vom Energiekostenausgleich würden jene Bürger:innen nicht profitieren, die nicht als Kund:innen bei Energieunternehmen aufscheinen, etwa Bewohner:innen in Alten- oder Studierendenheimen. Entsprechend der Anregungen der Volksanwaltschaft sei daher der Bezieher:innenkreis auszuweiten, hielt er mit einem Entschließungsantrag fest. Der Antrag wurde bei der Abstimmung abgelehnt.

Hauptausschuss: Unterstützung für Wiederbestellung der fünf Mitglieder der KommAustria

Vor Beginn der Nationalratssitzung gab der Hauptausschuss einhellig seine Zustimmung zur Wiederbestellung der fünf Mitglieder der Kommunikationsbehörde Austria (189/HA). Michael Ogris wurde ab 1. Oktober erneut zum Vorsitzenden, Susanne Lackner zur Vorsitzenden-Stellvertreterin und Martina Hohensinn, Katharina Urbanek und Thomas Petz zu Mitgliedern der KommAustria ernannt. Die Funktionsperiode dauert sechs Jahre. (Fortsetzung Nationalrat) rei

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.