Bundesrat Stenographisches Protokoll 609. Sitzung / Seite 55

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Wir befinden uns hier in einer enormen Entwicklung, zu der die EU beigetragen hat. Und glauben Sie mir: Wenn die EG nicht so erfolgreich gewesen wäre, wäre nicht nur die Teilung Europas weggefallen, sondern auch COMECON hätte nicht zu bestehen aufgehört, ebenso der Warschauer Pakt. Jetzt, da es die NATO gibt, die Partnerschaft für den Frieden – danke dem Vizekanzler für diese Unterzeichnung; das wollen wir nicht unerwähnt lassen, obwohl Dank nicht eine Kategorie des politischen Lebens ist –, möchte ich auch den Namen des Dr. Alois Mock in den Raum stellen. Jetzt, wo die Polarität weggefallen ist und die EU in dieser Stärke dasteht, auch die NATO, auch die WEU, auch die Partnerschaft für den Frieden, müssen wir uns bei einer EU-Debatte auch vor Augen führen, welche Verantwortung die EU hat und welche der Staaten mit der EU. Wir wollen dabei nicht übersehen, daß die EU noch nicht das gesamte Europa ist und daß wir daher hier sehr vieles einzubringen haben, was die Effizienz dieser Europäischen Union auch ausmachen soll.

Meine sehr Verehrten! Gerade diese Entwicklung, die ich skizziert habe, von freien und unfreien Staaten früher – und heute soll es nicht eine sein von reichen und armen Staaten –, zeigt unsere große sozial- und wirtschaftspolitische Verantwortung. Das, was wir zu Jubiläen mannigfacher Art begehen dürfen, war doch nur möglich, weil wir uns anstelle der Konfrontation in der Zwischenkriegszeit, sei es Wien oder die übrigen Bundesländer, sei es von Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite, zur Koordination und somit auch zum partnerschaftlichen Prinzip bekannt haben. Die Verbindungsstelle der Bundesländer, die Landeshauptmännerkonferenz und die Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft haben wir als Errungenschaft miteingebracht. Ich glaube, wir sollten uns bei einer weiteren Entwicklung der Europäischen Union auch bemühen, daß das Prinzip der Partnerschaft, wo immer es geht, der Sozialpartnerschaft, der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmervertreter, hier Platz greift.

Glauben Sie mir, das ist für mich keine Gelegenheitsäußerung. Als ich in meinem Leben meinen ersten Lehrstuhl übernehmen durfte – das war 1966 an der Universität Innsbruck –, habe ich als Thema meiner Antrittsvorlesung gewählt: "Bild und Recht des Menschen in der Europäischen Sozialcharta"; das ist dann ein Jahr später in Berlin als eigenes Buch erschienen bei Dunker & Humblot. Warum sage ich das heute? – Weil in Turin einstens die Europäische Sozialcharta zustande gekommen ist, und ich wünsche, daß dieser Geist von Turin, der den Geist der Römischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergänzt, auch jetzt bei der Europäischen Regierungskonferenz als soziale Verantwortung miteinfließen kann.

Meine Damen und Herren! Wir sollten uns daher bemühen, bei einer künftigen europäischen Verfassung – Herr Notar Dr. Linzer hat schon treffend darauf hingewiesen – unsere Erfahrung mit der sozialen Partnerschaft, mit der sozialen Marktwirtschaft und mit dem sozialen Rechtsstaat miteinfließen zu lassen. Wobei ich als juristische Fußnote bezüglich der Entwicklung der Grundrechte in Europa noch hinzusetzen möchte: Es gibt verschiedene Formen von Grundrechten und verschiedene Aufgaben für die Grundrechte, die liberalen Grundrechte, die demokratischen Grundrechte, die sozialen Grundrechte und die existentiellen Grundrechte, nämlich den Umweltschutz.

Meine Damen und Herren! Denn welchen Sinn hätte es, wenn wir für mehr Freiheit und für mehr demokratische Mitbestimmung sind, diese Freiheit aber nicht als gesunde Menschen nutzen können? – Der Umweltschutz ist ein existentielles Grundrecht. Man kommt mit der Länderkompetenz alleine nicht aus – denken Sie nur an die Gefahr durch Atomstrahlung –, sie hört nicht an der Grenze eines Staates auf zu existieren. Daher ist es auch notwendig, hier kooperativ zusammenzuarbeiten.

Meine sehr Verehrten! Wir müssen auch wissen aus unserer Sozialverantwortung heraus, daß man nur das verteilen kann, was man vorher erwirtschaftet hat. Ich habe den Vorzug, bereits seit 20 Jahren zu Regierungserklärungen zu sprechen. Ich habe daher zu den Regierungserklärungen Kreisky, Sinowatz, Vranitzky gesprochen. Das letzte Mal habe ich gesagt: Herr Bundeskanzler, ich glaube, das ist jetzt meine letzte Rede zu einer Regierungserklärung. Aber das ist nicht Fall, mit Gottes Hilfe rede ich das nächste Mal wieder dazu. Ich


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite