Bundesrat Stenographisches Protokoll 617. Sitzung / Seite 41

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Wir wissen, daß unabhängig davon, ob militärische bewaffnete Kämpfer im Einzelfall aufgetreten sind – aber das kompliziert das Problem natürlich –, der kurdische Bevölkerungsteil der Türkei keine seriöse Möglichkeit hat, sich politisch zu artikulieren. Es ist keine Legende, daß in bestimmten Provinzen des Ostens die Militärbehörden der Bevölkerung kurdischer Dörfer deutlich gemacht haben, wie hoch bei der Wahl der Prozentsatz der Hadep-Stimmen – das ist die nicht verbotene kurdische demokratische Partei – sein darf, und angekündigt haben, ab 40 Prozent werde das Dorf niedergebrannt. Mir scheint es nicht gerade ein Element demokratischer Entscheidungsfindung zu sein, wenn ich Bürger vor die Wahl stelle, entweder die Partei zu wählen, für die sie Sympathie haben, oder ihre Heimat zu verlieren.

Wir wissen, daß freigewählte Abgeordnete der Großen Türkischen Nationalversammlung unter fadenscheinigsten Vorwänden ihrer Mandate entkleidet und verurteilt wurden. Die Sacharow-Preisträgerin Leila Zeyna ist immer noch inhaftiert. "Inhaftiert" ist ein freundlicher Ausdruck für das, was sich in türkischen Gefängnissen abspielt.

Wir haben erlebt – und auch das ist anzuführen –, daß in diesem Land politische Kräfte, die sich Westeuropa als die naturgegebenen Partner angedient haben, aus purem Machterhalt bereit waren, mit den Kräften, vor denen sie ihr Land zu schützen vorgaben, zu koalieren. Ich habe mir gestattet, im Europäischen Parlament Frau Ciller als die "Frühstücksdirektorin" des neuen Regimes Erbakan zu bezeichnen. Ich glaube, hier sind Entwicklungen im Gang, zu denen Österreich, aber vor allem natürlich auch die Europäische Union klar Stellung beziehen muß, dafür sorgen muß, daß diese Kräfte nicht gestärkt werden, daß gerade in diesem Land die kritische Zivilgesellschaft und die Demokratie entwickelt werden, um zu anderen, positiveren Entscheidungsfindungen zu kommen.

Ich glaube – damit möchte ich schließen –, daß Österreich in dieser Europäischen Union – und die großen Probleme rund um unseren Kontinent sind nationalstaatlich nicht anzugehen – in den eineinhalb Jahren – wir können ja mitdenken, was seit Abschluß des Berichtes passiert ist – eine bemerkenswert initiative und positive Rolle gespielt hat; dies im wesentlichen in Übereinstimmung mit jenen Kriterien, von denen ich jetzt gesprochen habe. Diese Europäische Union darf nach unserem Verständnis nicht nur eine Veranstaltung zur gegenseitigen Wirtschaftsförderung sein, sie muß auch ein Kristallisationspunkt von Sicherheit für Europa und dessen Umgebung sein, sie muß auch ein Kristallisationspunkt von Demokratie in Europa und in den umliegenden Ländern sein, und dafür gilt es, weiterhin einzutreten. (Beifall bei der SPÖ.)

11.20

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Professor Dr. Manfred Mautner Markhof. Ich erteile es ihm.

11.20

Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof (ÖVP, Wien): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Hoher Bundesrat! Auch ich darf mich heute mit dem Außenpolitischen Bericht der Bundesregierung über das Jahr 1995 befassen – ein Jahr, das ohne Übertreibung als eines der wichtigsten in der Geschichte der Zweiten Republik bezeichnet werden kann. 1995 war das Jahr, in dem Österreichs Mitgliedschaft bei der Europäischen Union begann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich mich in medias res begebe, möchte ich es nicht verabsäumen, mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Außenministeriums für die großartigen Leistungen sehr herzlich zu bedanken. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle Dr. Alois Mock, der das Amt des Außenministers bis Mai 1995 innehatte und dessen Name untrennbar mit dem EU-Beitritt Österreichs verbunden ist. Mein ganz besonderer Dank gilt Dr. Wolfgang Schüssel, der das Amt des Außenministers am 4. Mai 1995 übernommen hat.

Meine Damen und Herren! Damit komme ich auch schon zum ersten thematischen Schwerpunkt, nämlich zur Europäischen Union, deren Mitglied Österreich seit 1. Jänner vorigen Jahres ist. Ein Bereich, dem ich mich ganz besonders widmen möchte, ist die Wirtschafts- und Währungsunion. Im Vorjahr wurde beim Europäischen Rat in Madrid die Entscheidung über das Szenario für den Übergang zur Einheitswährung getroffen. Neben dem Namen der zukünftigen Währung, nämlich Euro, wurde auch Beginn und Dauer der einzelnen Phasen festgelegt.


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