Bundesrat Stenographisches Protokoll 635. Sitzung / Seite 107

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Da wurden im ersten Unmut Eigeninteressen der Verfassungsrichter als Spitzenverdiener unterstellt. Da wurde eine angeblich knappe Abstimmungsmehrheit zur Relativierung und Abwertung des Erkenntnisses bemüht. Und es wurde in alter, aber schlechter Tradition die Forderung laut, das Erkenntnis durch Erhebung der für verfassungswidrig erklärten einfachgesetzlichen Regeln in den Rang formeller Verfassungsbestimmungen zu überwinden und auszuschalten und diese dadurch neuerlicher Normenkontrolle zu entziehen.

Ich erinnere daran nicht deshalb, um Salz in Wunden zu streuen oder einen Keil zwischen die Regierungsparteien zu treiben; sollte doch ein verfassungsgerichtliches Erkenntnis niemand als politischen Sieg oder politische Niederlage verstehen oder als solches politisch verkaufen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Vielmehr anerkenne ich gerne, daß diese unsachlichen Reaktionen inzwischen längst nicht mehr aktuell sind. Dennoch ist aus meiner Sicht kritische Aufmerksamkeit geboten, ob die Reform der Familienbesteuerung den vom Verfassungsgerichtshof herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird. Die bislang an die Öffentlichkeit gedrungenen Vorschläge der beiden Regierungsparteien, wiewohl inhaltlich ziemlich weit voneinander entfernt – wenn auch nicht betraglich, wie schon gesagt –, lassen echte Zweifel daran offen; das Modell der SPÖ eher größere, das der ÖVP eher geringere.

Die ehrliche Bereitschaft aber, dem Gleichheitssatz in diesem sensiblen gesellschaftspolitischen Bereich vorbehaltlos Rechnung zu tragen, ist für mich indes in keinem bisher erstellten Reformvorschlag ausreichend erkennbar. Das gilt insbesondere für jenen einer alleinigen Anhebung der Familienbeihilfe, die schon im Scheidungsfall einem unterhaltspflichtigen Vater in aller Regel nicht zugute käme.

Daher ist nochmals zu verdeutlichen, welche Überlegungen den Verfassungsgerichtshof zur Aufhebung der angefochtenen steuerrechtlichen Vorschriften als verfassungswidrig veranlaßten; inwiefern er eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Steuerpflichtigen, die ihre gesetzlich geschuldeten Unterhaltsleistungen nicht als außergewöhnliche Belastung geltend machen konnten, gegenüber Steuerpflichtigen ohne eine entsprechende Belastung konstatiert hat.

Als Fachvertreter des zivilgerichtlichen Verfahrens hat mich vor allem die Ausblendung eines ganz entscheidenden Gesichtspunktes aus der öffentlichen politischen Diskussion höchst irritiert: eine Verkürzung des Sachproblems, die ich günstigstenfalls als Ignoranz und Inkompetenz der Medien, im schlimmeren Fall aber als Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit bewerten muß. Was meine ich damit? Welche relevanten Sachinformationen vermisse ich?

Mit der so schönen wie inhaltsleeren Phrase, der jeder zustimmen wird: "Uns ist jedes Kind gleich viel wert" – die ÖVP hat sie sich bereits zu eigen gemacht, wenn sie ihr auch eine andere Wendung zu geben versucht als ihr Urheber, die SPÖ –, schwindelt man sich im Bereich des öffentlichen Rechts, sei es im Steuerrecht oder im Recht der Familienförderung, um das für die ökonomische Belastung durch die Unterhaltsleistungen allein maßgebliche Zivilrecht und die nach ihm gebotene Differenzierung herum.

Lassen Sie mich konkreter werden: Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die den Verfassungsgerichtshof zu seinem Gesetzesprüfungsverfahren veranlaßten, bezogen sich auf solche steuerrechtlichen Bestimmungen, die es einem für Kinder Sorgepflichtigen verwehren, die ihm entstehenden Unterhaltslasten in dem von der zivilgerichtlichen Judikatur anerkannten Ausmaß steuerlich geltend zu machen. Denn diese Bestimmungen führen zwangsläufig dazu, daß der Steuerpflichtige auch von jenem Einkommensbestandteil, den er im Wege von Unterhaltsleistungen weiterzugeben verpflichtet ist, Einkommensteuer oder Lohnsteuer zu zahlen hat.

In diesem Gesetzesprüfungsverfahren hat die Bundesregierung bemerkenswerterweise mitgeteilt, von einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen. Offenbar war sie sich der evidenten Gleichheitswidrigkeit der überprüften steuerrechtlichen Normen voll bewußt! Zutreffend hat sogar die Finanzlandesdirektion für Kärnten in ihrer Gegenschrift ausgeführt, daß die Unterhaltslasten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindern und daher im Einkommensteuerrecht zu berücksichtigen sind.


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