Bundesrat Stenographisches Protokoll 636. Sitzung / Seite 30

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Sicherheitsfrage und die Frage: Wie weit kann man echte Terrorismusbekämpfung, die natürlich legitim ist, von Repression abgrenzen? – Da gibt es Grauzonen, wie wir wissen, und wir wollen das eben möglichst klar abgegrenzt haben.

Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß der Kopenhagener Gipfel die Kriterien für einen Beitritt genau definiert hat. Für die Türkei ist daher absolut klar, daß sie nur dann eine Beitrittsperspektive hat, wenn sie sich vollinhaltlich den europäischen Standards annähert. Ich habe die Hoffnung, daß unter dem neuen Premierminister Yilmaz, der proeuropäisch und durchaus in diese Richtung denkt, einiges auf diesem Gebiet geschehen kann. Aber man darf nicht vergessen, daß das im Augenblick eine Minderheitsregierung ist.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Kollege Drochter.

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Herr Bundesminister! Hat Österreich oder haben die Außenminister der Europäischen Union schon mit der Türkei Kontakt aufgenommen, um ausreichende Hilfsmaßnahmen im Falle eines etwaigen Konfliktes zwischen dem Irak und den Vereinigten Staaten vorbereiten zu können? Es gibt Befürchtungen, daß es dabei wieder zu Vertreibungen von Kurden kommen könnte.

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Nein, das haben wir nicht. Es gibt aber eine generelle Kurdenstrategie, und zwar gibt es unabhängig von der Irakkrise eine GASP-Thematik, die die Versorgung der kurdischen Flüchtlinge aus dem Irak beinhaltet. Da hat die Kommission einiges gemacht, und es sind vor allem von den Italienern, den Deutschen, den Franzosen und den Niederländern Vorstöße gemacht worden. Ich werde Ihnen die Unterlagen des politischen Komitees, das diese Irak-Flüchtlingsstrategie ausgearbeitet hat, gerne zusenden.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Vizekanzler! Könnten Sie mir sagen, wie Ihrer Ansicht nach eine EU-Beitrittsperspektive der Türkei aussehen kann – sowohl zeitlich als auch inhaltlich?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Im Moment sehe ich aufgrund der Kopenhagener Kriterien und der Luxemburger Beschlüsse keine Beitrittsmöglichkeit. Das ist auch der Grund, warum es zu massiven Spannungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei gekommen ist.

Ich kann Ihnen nur meine persönliche Strategie nennen: Ich meine, daß wir aus strategischen Gründen großes Interesse daran haben müssen, mit der Türkei als einem der wichtigsten Partner in dieser Region ein relativ gutes Verhältnis zu entwickeln. Die Türkei ist natürlich für die ganze islamische Welt ein Modell eines Staates, der eben kein Gottesstaatsmodell, sondern eine Art laizistisches Modell verkörpert. Das ist ganz wichtig.

Zweitens ist die Türkei geopolitisch in einer für uns besonders wichtigen Position – Stichwort: Kaukasus, Naher Osten, Irak, Iran –, und sie ist NATO-Mitglied. Auch das ist ganz wichtig. Daß die Europäische Union mit der Türkei einen erstklassigen politischen Dialog mit auch wirtschaftlichen Folgemaßnahmen und Rahmenbedingungen, die wichtig sind, entwickeln muß, steht außer Frage. Das ist aber für die Türkei genauso interessant wie für uns. Die Türken haben mit der Europäischen Union zehnmal soviel Handel wie mit allen anderen islamischen


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