Bundesrat Stenographisches Protokoll 637. Sitzung / Seite 155

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Präsident Ludwig Bieringer: Als nächster hat sich Herr Bundesrat Professor Dr. Peter Böhm zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.

21.13

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren des Hohen Hauses! Dem vom Europarat beschlossenen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten wird auch meine Fraktion ihre Zustimmung nicht versagen. Denn es steht – wie bereits erwähnt wurde – durchaus außer Zweifel, daß allein schon die Tatsache des Zustandekommens eines solchen Übereinkommens einen historischen Fortschritt gegenüber dem bis heute unveränderten und überaus beklagenswerten Zustand auf dem Gebiet des europäischen Volksgruppenrechts und des internationalen Rechtsschutzes nationaler Minderheiten bedeutet. Handelt es sich dabei doch um das erste verbindliche multilaterale Abkommen, das dem Schutz von Minderheiten im allgemeinen gewidmet ist.

In diesem Sinn ist positiv hervorzuheben, daß bereits in der Präambel der Schutz nationaler Minderheiten mit der Wahrung und mit der Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verknüpft wird. Demgemäß wird dieses Anliegen in Artikel 1 ausdrücklich zum Bestandteil des internationalen Schutzes der Menschenrechte erklärt. Der Schutz dieser Rechte fällt daher nicht länger in die domaine réservé der Staaten, also in deren rein innere Angelegenheiten und somit in einen Bereich, der ausschließlich den Nationalstaaten vorbehalten ist.

In der Präambel wird auch hervorgehoben, daß eine wahrhaft demokratische Gesellschaft die ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität der Angehörigen einer nationalen Minderheit zu achten habe. Damit jedoch nicht genug, denn es kann nicht allein um die formale Achtung gehen, wie sie in Artikel 4 Abs. 1 mit dem Verbot jeglicher Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit und in Artikel 6 Abs. 2 mit dem Schutz vor diskriminierenden, feindseligen oder gewaltsamen Handlungen verankert wurde. Vielmehr bedarf es auch geeigneter materialer Bedingungen, die es den Angehörigen dieser Minderheit real ermöglichen, ihre Identität zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und zu entwickeln. Daher verpflichten sich die Vertragsparteien gemäß Artikel 4 Abs. 2 dazu, erforderlichenfalls angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Angehörigen einer nationalen Minderheit und den Angehörigen der Mehrheit zu fördern. Nach Artikel 4 Abs. 3 werden solche sozial-kompensatorischen Maßnahmen nicht als Diskriminierung angesehen. Damit ist die sachliche Rechtfertigung der sogenannten "positiven Diskriminierung" angesprochen, die auch in der Diskussion um die Frauenförderungsprogramme eine wesentliche Rolle spielt.

In Artikel 5 Abs. 1 wird diese Zielvorstellung nochmals etwas konkreter ausgeführt und zugleich definiert, was für Angehörige nationaler Minderheiten die wesentlichen Bestandteile – wohl besser: Merkmale – ihrer Identität ausmacht, nämlich deren Religion, Sprache und Traditionen sowie deren kulturelles Erbe. Von vorrangiger Bedeutung scheint mir auch die im Abs. 2 statuierte Selbstverpflichtung der Vertragsstaaten zu sein, unbeschadet der Maßnahmen im Rahmen ihrer allgemeinen Integrationspolitik eine Assimilierung von Angehörigen der Minderheiten gegen ihren Willen zu vermeiden und sie davor zu schützen.

Bemerkenswert ist weiters das Artikel 10 Abs. 2 zugrundeliegende Bestreben, daß in jenen Gebieten, die von Angehörigen nationaler Minderheiten traditionell oder in beträchtlicher Zahl bewohnt werden, die Voraussetzungen dafür sichergestellt werden sollen, daß im Verkehr zwischen den Angehörigen dieser Minderheit und den Verwaltungsbehörden die Minderheitensprache gebraucht werden kann. – Freilich ist nur davon die Rede, daß sich die Vertragsstaaten darum bemühen werden, und auch das nur dann, wenn es die Angehörigen dieser Minderheiten verlangen und dieses Anliegen einem tatsächlichen Bedarf entspricht.

Ferner ist auch der Gebrauch der Minderheitensprache vor Gericht nicht gewährleistet. Aus Artikel 10 Abs. 3 ergibt sich lediglich das Recht des Minderheitsangehörigen, in einer ihm ver


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