Bundesrat Stenographisches Protokoll 639. Sitzung / Seite 73

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Als weitere Alternative könnte auch daran gedacht werden, die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs zu Vollrichtern zu machen, die Konzentration der Entscheidungstätigkeit auf vier Sessionen also aufzugeben. Eine ähnliche Entwicklung hat sich jüngst beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vollzogen, der in einen ständigen Gerichtshof umgestaltet wurde.

Das damit verbundene Problem sehe ich aber darin, daß dann wohl die bisher bewährte Streuung in der beruflichen Herkunft der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes verlorenginge. Müßte man diesem nämlich als Vollrichter angehören, würden sich wohl kaum noch hochqualifizierte Repräsentanten aus der Anwaltschaft, vielleicht auch nicht einmal mehr aus hohen Rängen der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder aus den Universitäten als Bewerber gewinnen lassen.

Was aber die in bezug auf die Verfassung vorgesehenen Mitarbeiter und das Personal insgesamt anlangt, wurde der Verfassungsgerichtshof bei der Besetzung von Planstellen und bei anderen personalpolitischen Maßnahmen immer wieder mit restriktiven Vorgaben der Bundesregierung oder der zuständigen Bundesminister konfrontiert – dies ungeachtet der ohnehin äußerst bescheidenen Personalwünsche des überlasteten Gerichtshofes. Mit Recht sieht er darin eine Gefährdung seiner Kontrollaufgaben.

Dazu heißt es im Bericht zutreffend: Wollte man dem Verfassungsgerichtshof die Realisierung budgetpolitischer Ziele zur absolut bindenden Pflicht machen, so hätte dies zur Konsequenz, daß er auch seine Rechtsprechung daran zu orientieren hätte. Daß dies nicht im Sinne der Verfassungsgerichtsbarkeit sein kann, liegt auf der Hand. – Ende des Zitats.

Soll dies auch in Zeiten gesichert sein, in denen die Budgetkonsolidierung eine wichtige Staatsaufgabe bildet, so muß der Verfassungsgerichtshof auch in solchen Zeiten über die nötigen personellen und sachlichen Ausstattungen verfügen. Wird ihm diese verweigert, bedeutet das eine Gefährdung seiner Handlungsfähigkeit.

Meine Damen und Herren! Gewiß erkennen Sie alle die Dramatik und Sprengkraft der Entwicklung eines Rechtsstaates, die sich – bei aller Nüchternheit amtlicher Diktion – in diesem Hinweis verbirgt.

Zur Personalpolitik des Verfassungsgerichtshofes sei im Hinblick auf die aktuelle Frage der Frauenförderung anerkennend hervorgehoben, daß dort nicht nur die Zahl der weiblichen Bediensteten mehr als zwei Drittel der Gesamtzahl ausmacht, sondern auch mehr als die Hälfte der Bediensteten der Verwendungs- beziehungsweise Entlohnungsgruppe A/lit. a weiblich ist, darunter auch die Generalsekretärin und ihre Stellvertreterin.

Den rechtsuchenden Bürger interessiert indes anderes, und zwar die Qualität des vom Verfassungsgerichtshof gewährleisteten Rechtsschutzes. Um noch einmal auf die Dauer der Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zurückzukommen: Sosehr ich es aufgrund der geschilderten Arbeitsbedingungen verstehe, wenn es der Gerichtshof als Erfolg betrachtet, daß es ihm erneut gelungen ist, die durchschnittliche Anhängigkeitsdauer eines Falles etwa auf dem Niveau der Vorjahre zu halten, so wenig darf dabei verschwiegen werden, daß von den 2 002 zu Beginn des Jahres 1996 noch offenen Fällen 1 716 Rechtssachen Beschwerden nach Artikel 144 B-VG betrafen; das sind gerade jene Beschwerden, die von Bürgern gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden erhoben worden sind, weil sie diese ihrer Meinung nach in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt hatten. Hinzu kommt noch, daß solche Beschwerden erst nach Ausschöpfung des oft mehrstufigen administrativen Instanzenzuges zulässig sind. Die Gesamtdauer einer solchen Prozedur, die dem Bürger zu seinem Recht verhelfen soll, bedarf dann keiner weiteren Erörterung.

Auch am Ende des Berichtsjahres betrafen von insgesamt 2 060 unerledigten Fällen 1 790 Causen solche Beschwerden nach Artikel 144 B-VG.

Positiv ist hervorzuheben, daß der Verfassungsgerichtshof nicht nur die Kontakte mit bereits etablierten vergleichbaren Institutionen pflegt, sondern auch neu eingerichtete Verfassungsgerichte, insbesondere in den ost- und südosteuropäischen Reformstaaten, mit seinen Erfahrungen unterstützt.


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