Bundesrat Stenographisches Protokoll 639. Sitzung / Seite 143

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für die Einschätzung der Verteilungsgerechtigkeit innerhalb des gesamten Systems. Ich meine: Wer eine Sozialleistung braucht, soll sie auch bekommen, ohne sich wie ein Dieb am Allgemeingut zu fühlen.

Im Sozialbericht wird festgestellt, daß fünf Bereiche im Rahmen der Armutsbekämpfung zentrale Bedeutung haben. Es sind dies die Bereiche der Bildungs- und Ausbildungssysteme, der Erwerbs- und Verdienstchancen, der monetären Sozialleistungen für Personen ohne Erwerbsmöglichkeiten, der sozialen und pflegerischen Betreuungsangebote und des Wohnungsmarktes. – Auf einen der genannten Bereiche möchte ich noch näher eingehen.

Kollegin Kainz hat das Thema bereits angeschnitten: 11 Prozent aller armen Personen leben in AlleinerzieherInnenhaushalten. Von den AlleinerzieherInnenhaushalten sind 12 Prozent als "arm" zu bezeichnen. Deren Armutsquote ist somit mehr als doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung. Auch wenn die Erwerbsquote bei AlleinerzieherInnenhaushalten höher ist als bei der Gesamtheit der Frauen, so beziehen gemäß Haushaltspanel dennoch nur 57 Prozent ein regelmäßiges Erwerbseinkommen, 10 Prozent sind arbeitslos, und 14 Prozent sind in Karenz. Die restlichen 19 Prozent leben von Unterhaltsleistungen oder sonstigen Sozialleistungen.

Die Hälfte aller Alleinerzieherinnen erzielt entweder kein Erwerbseinkommen oder ein geringeres monatliches Erwerbseinkommen als 6 000 S. Müßten AlleinerzieherInnenhaushalte nur mit ihrem Erwerbseinkommen, Unterhaltszahlungen und anderen privaten Einkünften auskommen, so lägen zirka zwei Drittel dieser Haushalte unter der Armutsgefährdungsgrenze. Das Haushaltseinkommen des untersten Viertels der AlleinerzieherInnenhaushalte besteht zu 85 Prozent aus Sozialleistungen.

Die hohe Kinderarmutsquote und die nach Haushaltsgröße steigende Armutsquote steht im direkten Zusammenhang mit den erschwerten Erwerbsmöglichkeiten von Müttern. Die Erwerbsquote für alle Frauen im erwerbsfähigen Alter beträgt 62 Prozent, in Familien mit einem Kind 61 Prozent und bei Familien mit drei oder mehr Kindern gar nur mehr 35 Prozent. Der Grund dafür ist, daß die Kinderbetreuung in den Familien – das wurde heute auch schon gesagt – nach wie vor überwiegend in der Verantwortung der Frauen liegt und noch immer eine Unterversorgung an geeigneten außerhäuslichen Kinderbetreuungseinrichtungen besteht.

Der Wunsch vieler Frauen, einen Beruf auszuüben, wird häufig auch durch traditionelle Strukturen verhindert oder erschwert. Damit sind sowohl die Einstellung gemeint, daß der Platz der Frau am Herd ist, sowie auch Defizite im Betreuungsbereich, aufgrund welcher die Berufsausübung beider Elternteile nicht möglich ist.

Es liegt aber im Interesse der Gesellschaft, Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu schaffen. Die Erwerbstätigkeit von Frauen wird stark vom Familienstand und dem Vorhandensein von Kindern beeinflußt. Kinder sind für Frauen der häufigste Anlaß, ihre Berufstätigkeit zu unterbrechen oder zu beenden. Es bedarf also des Ausbaues von Betreuungseinrichtungen, die auf die Bedürfnisse berufstätiger Eltern beziehungsweise berufstätiger Frauen, insbesondere hinsichtlich der Öffnungszeiten, abgestimmt sind.

Ich nenne eine auf das Jahr 1996 bezogene Zahl, um anschaulich zu machen, welches Ausmaß das angesprochene Problem hat: Im August 1996 wurden in der Steiermark vom AMS über 6 800 arbeitslose Frauen wegen Mobilitätseinschränkungen aufgrund von Betreuungspflichten als "schwer vermittelbar" eingestuft.

Im Bezirk Murau läuft zum Beispiel gerade ein Frauenprojekt für Wiedereinsteigerinnen, für das sich 80 Frauen interessiert haben. 40 davon haben jedoch nach der ersten Anmeldung schon feststellen müssen, daß sie aufgrund mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten gar nicht daran teilnehmen können.

Ein bedarfsgerechtes Versorgungsniveau beinhaltet neben Kindergärten und Kinderhorten auch Kinderkrippen, Tagesmütter und andere Formen von Kinderbetreuungseinrichtungen, denn die größte Unterversorgung besteht tatsächlich im Bereich der Kleinstkinderbetreuung bis drei Jahre.


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