Demokratiepolitisch außerdem äußerst bedenklich ist, daß sich Inhaber von Einzelunternehmungen in Zukunft bei der Stimmabgabe vertreten lassen können. (Bundesrat Dr. Kaufmann: Das haben Sie woanders auch!) Aber das gleiche, geheime und persönliche Wahlrecht wird damit ad absurdum geführt.
Ein weiteres demokratiepolitisches Kuriosum enthält § 62: "Nichtanwesende können ihr Stimmrecht schriftlich einem anderen stimmberechtigten Mitglied des betreffenden Kollegialorgans übertragen." Für Beschlüsse ist ein Drittel der Stimmen der Stimmberechtigten der Anwesenden notwendig. Es gibt Fachgruppen mit fünf Mandaten, da müssen also zwei Mandate anwesend sein. Daraus folgt: Wenn nur ein Stimmrecht übertragen wird, kann ein einziger Mandatar zur Beschlußfassung ermächtigt sein. Der muß dann wahrscheinlich mit beiden Händen aufzeigen.
Es ist mir unverständlich, daß ein Gesetz, das solche Demokratiedefizite aufweist, überhaupt in den Bundesrat kommen kann und dann hier auch noch positiv beschlossen wird.
Die Zwangsmitgliedschaft ist ebenfalls undemokratisch, nicht zeitgemäß, fortschrittshemmend und international nicht üblich, sondern international eher sanktioniert. Wenn Sie, Herr Kollege Kaufmann, immer sagen, es hat im Jahr 1995 ... (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. ) Im Jahr 1995 hat es eine Abstimmung gegeben. Bei dieser Abstimmung wurde nicht nach der Zwangsmitgliedschaft gefragt, sondern bei der Abstimmung wurde gefragt: Wollen Sie durch eine Interessenvertretung vertreten werden? – Da haben 82 Prozent ja gesagt. Ich will auch durch Interessenvertretung vertreten werden, aber ich will mir aussuchen können, durch welche Interessenvertretung. (Bundesministerin Hostasch: Es wurde gefragt: "gesetzliche Interessenvertretung"! Gesetzlich!)
Zur internationalen Sanktionierung: Die Pflichtmitgliedschaft der Wirtschaftskammer hindert die Wirtschaftskammer, Mitglied bei der UNICE in Brüssel zu werden. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Sicherlich! In Brüssel werden die österreichischen Unternehmer durch die Industriellenvereinigung vertreten und nicht durch die Wirtschaftskammer, weil bei der UNICE Vereinigungen mit Pflichtmitgliedschaft keinen Zugang haben.
Jetzt möchte ich auf die Finanzierungsstruktur näher eingehen. Die Finanzierung der Kammer war und ist für viele Mitglieder völlig undurchsichtig, und daß das so bleibt, ist die volle Absicht der Wirtschaftskammer. Sie will ja mit ihrem Budget in der Höhe von 8,5 Milliarden Schilling in diesem Bereich überhaupt keine Klarheit haben. Die Kammer bezahlt sogar bis zu 4 Prozent Inkassoprovision an die Finanzlandesdirektionen für das indirekte Inkasso, damit das nicht offen aufscheint. Mit diesen 4 Prozent könnte die Kammer leicht ein direktes, offenes Inkassosystem aufbauen. Bei diesem Inkassosystem würden die Mitglieder auf einer Rechnung klar sehen, was sie die Kammer kostet.
Viele Unternehmer verdrängen die Kammerkosten, weil sie wichtigere Probleme zu lösen haben und weil sie der Meinung sind, daß sie ohnehin nichts ändern können. Das weiß die Wirtschaftskammer und fördert es mit dem komplizierten Umlagensystem, sodaß niemand genau weiß – oder nur, wenn er viel Zeit investiert, um zu recherchieren –, wieviel ihn die Kammer kostet. Wir fordern daher die direkte, offene Einhebung der Kammerbeiträge und Mitgliedsbeiträge.
Von Betrieben, die international tätig sind, weiß ich, daß die Vertretungskosten der österreichischen Wirtschaftskammer einem Benchmarking-Vergleich nicht standhalten können. Unter vergleichbaren Bedingungen sind zum Beispiel in Frankreich die Vertretungskosten nicht einmal halb so hoch wie in Österreich.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie nun auf ein weiteres Kuriosum hinweisen. Wissen Sie, daß die Wirtschaftskammer, obwohl sie zu Recht immer gegen die hohen Lohnnebenkosten auftritt, sich selbst mit der Kammerumlage 2 aus Lohnnebenkosten finanziert? – An dieser schizophrenen Situation ändert sich auch mit dem neuen Wirtschaftskammergesetz nichts. 0,5 Prozent der Lohnnebenkosten werden von der Kammer selbst verursacht.
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