Bundesrat Stenographisches Protokoll 682. Sitzung / Seite 109

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Das europäische Vehikel unterscheidet sich davon grundlegend: Da treffen sich die Passagiere mit dem Personal und diskutieren darüber, ob sie losfahren sollen. Wenn sie einmal im Zug sind, diskutieren sie, ob sie auf der Westbahn oder auf der Südbahn fahren und wo sie stehen bleiben sollen oder ob sie schneller oder langsamer fahren sollen. Was man schon gar nicht weiß, ist, wo der Zug zu guter Letzt ankommt, und am allerwenigsten weiß man, wann der Zug ankommt.

Ich gebe zu, dass das ein ungewöhnlicher Prozess ist, aber es ist – so paradox es klingt – eine Erfolgsgeschichte: Die Europäische Union hat eine gute Strecke gewählt. Die Entscheidungen von Personal und Passagieren waren im Regelfall richtig. Die Union ist größer und stärker geworden, und sie hat Gestalt angenommen.

Ich gebe zu: Jetzt, da wir in der vorletzten Station stehen, wäre es vielleicht ganz gut, doch einmal einen wirklichen Fahrplan zu erarbeiten, und dazu soll dieser Konvent, der auf Nizza notwendigerweise folgen muss, beitragen.

Ich bitte Sie daher, nicht nur der Vorlage selbst, sondern auch dem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

15.28

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster ist Herr Bundesrat Professor Dr. Böhm zu Wort gemeldet. – Bitte.

15.28

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren des Hohen Hauses! Wir werden heute der im Nationalrat bereits beschlossenen Ratifikation des Vertrages von Nizza zustimmen.

Aus der Sicht des Bundesrates als Länderkammer bedauert meine Fraktion allerdings, dass der seit längerem vorgetragenen Forderung der Bundesländer, sie in Vorhaben der Europäischen Union einzubinden, die in den Bereich ihrer Gesetzgebung und Vollziehung eingreifen, vom Bund erneut nicht entsprochen worden ist. Darauf zielt ja auch der von uns allen heute gestellte Entschließungsantrag ab.

Was den Vertrag von Nizza selbst anlangt, so ist er insofern als durchaus historische Weichenstellung einzuschätzen, als er die institutionellen Voraussetzungen für die so genannte EU-Osterweiterung schafft.

Freilich werden inhaltliche Substanz wie auch Form und Struktur dieses Regelwerks einmal mehr der politischen Bedeutung dieses ursprünglich als Institutionenreform geplanten Vorhabens in keiner Weise gerecht. Die in mühevollsten Kompromissen und härtestem Ringen erzielten Ergebnisse stellen nach allen Analysen und Kommentaren nicht im Geringsten den von Präsident Chirac angekündigten großen Wurf dar. – Das ist noch freundlich formuliert.

Im Blick auf die Regelungs- und Verweisungstechnik des Vertrages, wenn man ihn einmal – selbst als geschulter Jurist – gelesen hat, müsste man weit schärfere Kritik üben.

Das organisationsrechtliche Gefüge der Europäischen Union als Staatenverbund ruft die böse Bezeichnung in Erinnerung, die der vernunftrechtliche Staatsdenker Samuel Pufendorf dem Heiligen Römischen Reich seinerzeit gewidmet hat, nämlich jene als ein Gebilde "monstro simile", "einem Monster gleich".

Es wird daher zweifellos die unabdingbare Aufgabe des so genannten Post-Nizza-Prozesses sein, erstmals eine systematische, übersichtliche und lesbare Neufassung des EU-Vertrages zu erarbeiten. Vor allem aber – und damit ist ein zentrales Anliegen von uns Freiheitlichen berührt – muss künftig endlich von den schwammig formulierten politischen Zielvorgaben abgegangen werden, die nur dazu dienen, dass unter Verletzung des Subsidiaritätsprinzips die Zentralorgane der Europäischen Union schleichend und unter der Hand ihre Funktionen und Regelungsbefugnisse zunehmend ausweiten.


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