Bundesrat Stenographisches Protokoll 685. Sitzung / Seite 94

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müssen in der Wahl ihrer Partner in Zukunft vorsichtiger und nachhaltiger vorgehen. (Bundesrat Manfred Gruber: Ja! Das unterschreibe ich!)

Zweitens: Die ideologischen Führer terroristischer Gruppen sind stets charismatische Intellektuelle und Söhne der oberen Klasse, denen es gelingt, bestehende gesellschaftliche Probleme und soziale Konflikte geschickt zu instrumentalisieren und zu überhitzen. Ihre Denkstrukturen gilt es zu verstehen, bevor man sie mit Erfolg bekämpfen kann.

Drittens: Terrorismus braucht ein Urtrauma, durch das er sich motiviert. Das Urtrauma der islamischen Welt ist der Nahost-Konflikt und die Besetzung der heiligen Stätten Mekka und Medina durch so genannte Fremde. Dazu schreibt auch die "Frankfurter Allgemeine" von gestern: "Denn wenn die nahöstlichen Wurzeln des Terrorismus – neben der politischen Korruptheit der mit Washington verbundenen Herrscher und dem Konflikt mit Israel – etwas mit dem Gefühl der Geringschätzung und der Marginalisierung zu tun haben, dann wird heute jeder militärische Versuch, das Regime des Saddam Hussein zu stürzen, nicht als weltpolitischer Hygieneakt begrüßt werden, sondern zu einer neuen gefährlichen Triebkraft weiterer antiamerikanischer Ausbrüche werden, als ob es dafür nicht schon genügend Munition durch die schlimme Lage der Palästinenser gäbe." – So die "Frankfurter Allgemeine" gestern im Leitartikel.

Weitere Einsichten sind nötig. Terroristen sehnen sich geradezu nach Märtyrern, deshalb muss man jede Überreaktion vermeiden. Terroristen vertreten ein apokalyptisches schwarz-weißes Weltbild. Wer ihnen in der Sprache des Heiligen Krieges antwortet, bestätigt sie, statt sie zu widerlegen. Besonders gefährlich sind die Nachfolgegenerationen terroristischer Gruppen.

Da sich die terroristische Gewalt also vor allem aus geistigen, weichen Faktoren nährt, genügt es nicht, allein die harten, materiellen Grundlagen zu zerstören. Man muss auch die Köpfe der Terroristen oder ihrer Anhänger erreichen. Mit einer militärischen Abschreckungsstrategie allein kann das aber unmöglich gelingen. Im Gegenteil, man bestätigt diese Menschen in ihrer Qual, man bestätigt ihr dualistisches Weltbild, das die Menschheit in Freund und Feind unterteilt. Wer den El-Kaida-Kämpfern offiziell den Krieg erklärt, ihnen aber den Kriegsgefangenenstatus verweigert, trägt nur dazu bei, dass sich die islamischen Krieger unter Ewigkeitsgesichtspunkten in eine moralisch überlegene Position hineinfantasieren. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Zunächst einmal müssen wir den Entstehungsort ausmachen. John O'Neill, der ehemalige Chef der Anti-Terror-Abteilung des New Yorker FBI-Büros sagte bereits im Juli 2001, also zwei Monate vor dem berühmten Ereignis: "Alle Antworten, alle Schlüssel zur Zerschlagung von Osama Bin Ladens Organisation liegen in Saudi Arabien." Tatsächlich stammen 13 der 19 Entführer vom 11. September aus Saudi Arabien.

Wie entsteht also Terrorismus? – Er entsteht vor allem in solchen Gesellschaften, in denen eine verlogene, heuchlerische Atmosphäre und eine große, innere Spannung herrschen. Schaut man sich die saudiarabische Gesellschaft genauer an, so lässt sich feststellen, dass es in keinem anderen Land des Nahen und Mittleren Ostens eine derart krasse Diskrepanz zwischen der offiziellen Staatsreligion und dem Lebensstil der Eliten gibt. Der provokante Kontrast zwischen dem religiösen Puritanismus der Wahabiten und der verwestlichten Dekadenz des Saud-Klans verhindert notwendiges politisches Vertrauen zu diesen Eliten.

Kann ein moralischer Rigorismus vorzüglich gedeihen? – Gerade Söhne reicher Eltern gebärden sich in solchen Ländern oft als radikale Verfechter der reinen Lehre. Zugespitzt gesagt, meint die Grüne Antje Vollmer: "Bei den brutalen Angriffen auf die Türme des World Trade Cen-ters handelte es sich zugleich um ortsverschobene Symptome eines innerislamischen Kulturkampfes. Denn sie waren zugleich als Attacke gegen die Heiligtümer der eigenen korrupten Elite gemeint."

Wir müssen den Terrorismus von innen bekämpfen. Wenn die Vereinigten Staaten den Kampf gegen den Terrorismus unilateral führen, verhindern sie, dass terroristische Bewegungen aus dem Inneren der jeweiligen Gesellschaft heraus bekämpft werden. Sie blicken allein von außen auf die arabische Gesellschaft. Es fehlt dabei der kulturell und politisch informierte Kennerblick


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