Bundesrat Stenographisches Protokoll 718. Sitzung / Seite 20

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Da mein Vorschlag: Nehmen wir uns Zeit, versuchen wir, andere Optionen, wie etwa eine privilegierte Partnerschaft – von vielen Parteien im Hohen Haus mitgetragen –, als Möglichkeit zu verankern!, nicht gewünscht war, explizit nicht drinnen war, habe ich gesagt: Gut, dann werden wir in dieser Frage quasi als letzte Möglichkeit – sollte es nicht ohnedies zu einer privilegierten Partnerschaft kommen, was ich immer noch für denkmöglich und wünschenswert halte – dieses Instrument einsetzen. – Sonst hätte ich diese Aussage nicht gemacht.

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Stefan Schennach zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass man über die EU-Verfassung in allen europäischen Ländern zur gleichen Zeit – aber ohne nationales Votum, sondern mit der Mehrheit der gesamten europäischen Bevölkerung zur Verfassung – abstimmen lassen sollte. Das wäre sicher der richtige Weg.

Ich wollte Sie dazu etwas fragen, aber Ihre letzten Ausführungen zu der Zusatzfrage bringen mich doch zu einer anderen Frage.

Zu Ihren Differenzierungen bezüglich der Türkei: Sie sagen, Sie sind nicht der Mei­nung, dass man über ein anderes Land – aus Ressentiments, aus historischen Grün­den – abstimmen kann, und ziehen da geographische Grenzen.

Glauben Sie nicht, dass bei solch einer Volksabstimmung das Ziehen geographischer Grenzen genauso eine willkürliche Festlegung ist und ebenso das Tor öffnet für Res­sentiments, für eine Diskussion „Mitgliedschaft zweiter Klasse“, „Volk zweiter Klasse“ und so weiter?

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Aber es heißt „Europäische Union“ und nicht „Eurasische Union“! (Beifall bei der ÖVP.) Das ist ein sehr wichtiger Punkt!

Ich sehe das nicht nur geographisch, sondern auch kulturell, und da lade ich Sie ein, mein Argument schon auch mitzudenken, und ich hoffe, Sie tun es auch.

Niemand bezweifelt, dass die jetzige Regierung in der Türkei unglaubliche Anstrengun­gen unternimmt und auch positive Erfolge auf diesem Weg der Anstrengungen aufzu­weisen hat. Auf der anderen Seite – und ich habe mich sehr lange damit beschäftigt; ich war einige Male in der Türkei, nicht nur in Ankara, nicht nur in Istanbul, ich kenne ein wenig die Situation dort: Meine allererste Auslandsreise, meine Maturareise, führte quer durch die Türkei, quer durch Anatolien ins Heilige Land, und seit dieser Zeit hat mich dieses Land eigentlich immer fasziniert, ich habe da sicher keine Ressenti­ments – weiß man, dass die kulturellen Unterschiede himmelhoch sind

Entweder nehmen wir das, was wir selbst propagieren, ernst: dass die europäische Union ein „Leuchtturm“ – das klingt ein bisschen pathetisch; Entschuldigung! – der Menschenrechte, bestimmter kultureller, bürgerlicher Freiheiten sein soll, oder wir geben es zu wirtschaftlichen Diskontpreisen her.

Wenn wir wissen, dass es für Dissidenten, für Menschen, die eine andere politische Meinung haben, die eine andere Religion haben, gar nicht so einfach ist, für ihre Mei­nung einzustehen, etwas zu publizieren, eine Priesterausbildung etwa in der ortho­doxen Kirche zu machen, als Katholik eine Messe zu feiern – nicht in Ankara, sondern irgendwo im Landesinneren –, dass es Frauen unglaublich schwer haben – heute noch! –, sich gegen die patriarchalische Gewalt oder, besser gesagt, die Dominanz – vielleicht nicht Gewalt, sondern Dominanz! –, die heute kulturell dort selbstverständlich


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