Bundesrat Stenographisches Protokoll 718. Sitzung / Seite 19

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oder weil man ein Thema aus einer bestimmten innenpolitischen Situation heraus­halten wollte. Ganz ehrlich gesagt: Ich halte das nicht für fair!

Ich halte das nicht für fair gegenüber der Sache Europas, denn wenn man zu dem, was gemeinsam ausverhandelt wurde, steht – und wir werden wahrscheinlich mit großer Mehrheit oder einstimmig, wie ich hoffe, diese neue europäische Verfassung ratifizie­ren –, dann sollte man auch den Weg öffnen, dass man zusätzlich ein europaweites Referendum für eine solche europäische Verfassung ermöglicht.

Übrigens: Interessanterweise „krebsen“ jetzt einige Länder wieder zurück. – Ich habe schon gehört: Einige Länder, die ursprünglich eine Volksabstimmung angekündigt haben, kommen mittlerweile wieder drauf, dass das vielleicht doch nicht so eine rasend gute Idee ist, und überlegen, ob sie das nicht jetzt wieder zurücknehmen sollen.

Österreich war diesbezüglich, glaube ich, immer berechenbarer und klarer. Ich habe immer gesagt: Wir sind für eine europäische Linie, da verschließen wir uns nicht, aber ein österreichischer Alleingang ist nicht notwendig und wird von mir auch nicht unter­stützt!

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Bundeskanzler! Wie stehen Sie zur Frage der verfassungsrechtlichen Verankerung von verpflichtenden Volksabstimmungen über alle wichtigen Veränderungen der EU, wie etwa Beitritte oder Änderungen des Primärrechtes?

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich halte das nicht für sinnvoll. Eine Volks­abstimmung ist dann notwendig, wenn Maßnahmen der EU zu einer Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung führen. Das ist weder bei den früheren Verfas­sungen, wo auch gelegentlich der Ruf gekommen ist: Machen wir eine Volksabstim­mung!, der Fall gewesen, noch ist es bei dieser Verfassung, bei diesem Verfassungs­vertrag, der Fall.

Es gibt, glaube ich, eine Meinung eines Verfassungsrechtlers, der das zwar für möglich hält, aber nicht sehr präzise gefordert oder in Aussicht gestellt hat, aber die überwäl­tigende Mehrheit der Verfassungsrechtler Österreichs, der Europarechtler sagt: Das stellt selbstverständlich keine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfas­sung dar.

Bei Beitrittsfragen ist es eine andere Geschichte, und die ist meiner Meinung nach auch nicht unproblematisch. Daher war ich bei europäischen Ländern, die nach der Verfassung das Recht haben, die Mitgliedschaft zu beantragen, auch immer gegen Referenden. Ich halte es für sinnvoll, dass ein Land über sich abstimmt – wie wir das gemacht haben –, aber ich halte es zum Beispiel nicht für richtig, dass wir über andere Länder eine solche Volksabstimmung abhalten, denn da können viele Dinge mit eine Rolle spielen, von historischen Ressentiments bis zu aktuellen bilateralen Problemen. Daher ist das nicht sinnvoll.

In der Frage „Türkei“ könnten Sie sagen: Da haben Sie es gesagt! – Ja, da stehe ich dazu, weil die Türkei wirklich ein anderer Fall ist. Die Türkei ist ein Land, das zum Großteil – zu mehr als 90 Prozent – nicht in Europa liegt, und bei einem allfälligen Bei­tritt der Türkei gibt es dann überhaupt kein Argument mehr, etwa Ländern wie Russ­land – heute noch nicht aktuell –, Israel, Mittelmeer-Ländern oder Kaukasus-Ländern eine allfällige Mitgliedschaft, so sie dies wünschen, zu verweigern. Dann, bitte, frage ich mich, ob das eine Situation ist, in die man einfach hineinrutschen kann.

 


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