Bundesrat Stenographisches Protokoll 718. Sitzung / Seite 49

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Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Schennach. Ich erteile ihm das Wort.

 


11.12.30

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frauen Ministerinnen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Himmer, Sie sollten Ihrem Sohn schon sagen, dass das Land seit 1955 ein freies und demokratisches Land ist und nicht erst seit 2000 (Beifall bei den Grünen), auch wenn vielleicht zu Zeiten der großen Koalition wenig Luft für vieles in diesem Land geherrscht hat. Aber seit 1955, Kollege Himmer, sind wir ein wirklich freies und demokratisches Land.

Bevor ich auf die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zur Regierungsumbildung ein­gehe, meine Damen und Herren von der ÖVP, lassen Sie mich noch sagen, dass ich doch etwas betroffen war von der Ihrer Fraktion innewohnenden großen Spontaneität in der Fragestunde, die sich an den Bundeskanzler richtete. Der Herr Bundeskanzler hat von dem Satz: Wir sind keine Eurasische Union!, noch nicht einmal das „n“ fertig gesprochen, und es kam bereits ein Sturm des Applauses. Der muss ja ... (Bundesrat Mag. Gudenus: Sehr zu Recht!) – Herr Gudenus, Sie waren jetzt nicht gemeint, aber Sie können das auch noch erläutern. – Das muss ja so etwas Innewohnendes sein, meine Damen und Herren von der ÖVP ...! (Bundesrat Bieringer faltet die Hände.) – Kollege Bieringer, Sie brauchen jetzt nicht zu klatschen!

Die EU, die bekanntlich keine Eurasische Union ist, grenzt an Brasilien, grenzt an Venezuela, grenzt an Ecuador. Die Europäische Union grenzt an zahlreiche Karibik-Staaten. Die Europäische Union hat auch einen pazifischen Bereich. Also Sie können die Europäische Union auch mitten in Marokko finden. Das ist die Europäische Union, das ist auch Schengen.

Wenn Sie heute ein Fünftel europäischen Bodens mit einem Sturm des Herzens hier aus der geographischen europäischen Situation hinausapplaudieren – denn Istanbul liegt in Europa –, dann muss ich Sie fragen: Warum führen wir eine dermaßen unehr­liche Diskussion? Dann sagen Sie es doch einfach: Wir warten nicht auf die Volksab­stimmung! Dieser Applaus sagt doch eines: Wir wollen das nicht! Dieser Applaus zeigt eigentlich nur: Türe zu zu allen Bemühungen, was die Türkei betrifft! (Bundesrat Mag. Gudenus: Da haben Sie vollkommen Recht, Herr Kollege!) – Nein, Herr Gude­nus, ich habe mit der ÖVP geredet, nicht mit Ihnen – aber mit Ihnen rede ich gerne später. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Das ist etwas Unehrliches, meine Damen und Herren, und dieser Applaus, dieser Spontan-Applaus, hat mich eher bedrückt als ... (Bundesrat Mag. Gudenus: Das soll er auch! Nächtelang soll er sie bedrücken, der Applaus!) Ja, wunderbar! (Beifall bei den Grünen.)

Ich bin froh gewesen, dass der Herr Bundeskanzler klar gesagt hat: Ein Volk oder ein Staat soll nicht über andere Staaten abstimmen!, denn das ist richtig! Ich weiß, Sie, Herr Gudenus, hätten auch über den Beitritt Tschechiens abstimmen lassen, denn damit hätte man auch ein paar Ressentiments schüren können, wahrscheinlich auch über den Beitritt Sloweniens. – Das darf es nicht geben! Es dürfen keine neuen Ressentiments in Europa geschürt werden! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesra­tes Mag. Gudenus.)

Ja, stellen Sie sich vor, wenn die Franzosen über den österreichischen Beitritt abge­stimmt hätten, was da für ein Geheule losgegangen wäre, oder die Briten über unseren Beitritt abgestimmt hätten! – Nein! Darum geht es nicht in Europa! Aber jetzt muss ich zurück zum eigentlichen Thema.

Herr Bundeskanzler! Ich verstehe, dass man eine Regierungsumbildung natürlich mit einer Bilanz präsentiert und dass eine Regierungsumbildung im Laufe der Zeit fast so


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