Bundesrat Stenographisches Protokoll 719. Sitzung / Seite 132

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

und wurden eigentlich von der großen Mehrheit der Bevölkerungen getragen. – Eine solche Vorgangsweise wäre ideal gewesen, aber diese findet nicht statt.

Meine Damen und Herren! Sie alle haben, wie auch wir, in den letzten Tagen und Wochen E-Mails, Briefe und Anrufe in diesem Zusammenhang bekommen, die das Ansinnen enthielten, dass – wie ja verfassungsmäßig vorgesehen wäre – ein Drittel der Bundesräte und Bundesrätinnen eine solche Volksbefragung ermöglicht. – Ich trete diesem Ansinnen nicht nahe, und ich nehme heute und hier die Möglichkeit wahr, das zu begründen.

Bei der Volksabstimmung über unseren Beitritt zur Europäischen Union haben wir über die Grundprinzipien einer Verfassungsänderung bereits mit abgestimmt. Darin war auch jener Prozess inkludiert, auf den wir alle, alle Parlamente und die Vertreter und Vertreterinnen der Bevölkerungen, hingezielt haben, nämlich der EU eine Verfassung zu geben. – Dieser Verfassungsprozess ist etwas Positives, und er legt im Grunde den Umstand nahe – und auch dazu bekenne ich mich –, dass nicht eine Gliedstaatenkette von nationalen Staaten vorhanden ist, sondern dass die Entwicklung in Richtung eines europäischen Bundesstaates geht.

In 10 Ländern finden Volksabstimmungen statt, in 15 finden keine statt. – Das ist eine wirklich bedauerliche Situation, und ich hoffe, dass es nicht irgendwo eine Mehrheit für ein Nein geben wird. Dies würde nämlich diesem verfassungsgebenden Prozess einen auf Jahre hinaus schädigenden Rückschlag versetzen. Diesbezüglich sollte man wirk­lich nicht durch tagespolitisches Kalkül Missbrauch treiben!

Der Verfassungsvertrag, der nun hier vorliegt, wurde in einem gewählten Verfahren im Konvent erarbeitet, bis der Beschluss der Regierungskonferenz mit den nationalen Ratifikationsprozessen erfolgt. Man kann heute sagen, dass das nach jenen Papieren, auf denen die EU fußt und nach welchen wir der EU beigetreten sind, sicherlich die breiteste Legitimation ist, die es bisher gegeben hat. Es ist dies breiteste Legitimation aller europäischen Primärrechtsakte.

Vielen Ansinnen betreffend diese Volksabstimmung in Österreich halte ich jetzt einmal entgegen, dass das Argument, dass man sozusagen als Souverän eine Volksabstim­mung will, weil es sich um eine grundlegende Verfassungsänderung handelt, vielleicht auch aus einer anderen Optik heraus erfolgt, um nämlich diesen Verfassungsprozess zum Kippen zu bringen.

Tatsache ist: Die vier Parteien des Nationalrates und die vier Parteien des Bundes­rates, die Parteien und die Bundesregierung bekennen sich zu diesem gemeinsamen Schritt. Er bringt damit die höchste Legitimität jenseits dessen, was ideal wäre, nämlich der Volksabstimmung.

Es wurde hier sehr viel Globalisierungs- und Militärkritik geübt. – Drücken wir es einmal so aus: Dieser in vier Teile gegliederte Verfassungsvertrag schafft zum einen eine eigene Rechtspersönlichkeit für die EU, und es ist, glaube ich, von unschätzbarer Wichtigkeit, dass die Charta der Grundrechte vollständig in diesen Verfassungsvertrag aufgenommen wurde und für alle Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen Gültig­keit hat und dass mindestens eine Million EU-Bürger und -Bürgerinnen die Einhaltung der Grundrechte begehren und eine entsprechende Gesetzesinitiative einbringen kön­nen.

Weiters möchte ich festhalten, wenn zum Beispiel davon gesprochen wird, dass die neoliberale Grundausrichtung durch diesen Verfassungsvertrag weiter institutionalisiert oder vorwärts getrieben wird, dass die Verfassung das Recht auf Zugang zu den Diensten von allgemeinem Interesse anerkennt und das Gebot der Gleichstellung von Männern und Frauen ebenso verstärkt wie die Verpflichtung zur Bekämpfung von


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite