Bundesrat Stenographisches Protokoll 719. Sitzung / Seite 131

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Man müsste sich nämlich im Falle einer befürchteten Ablehnung dann doch ehrlicher­weise fragen, ob man in dem betreffenden Staat bloß unter der gegenwärtigen Regie­rung den entsprechenden Souveränitätsverzicht nicht will, weil sie etwa die Eigen­interessen des Landes und ihrer Bevölkerung allzu sehr vernachlässigt, oder ob man damit Kritik am derzeitigen Zustand der Europäischen Union üben will. Deren Gefüge gleicht – erlauben Sie mir den historischen Vergleich! – zumindest derzeit tatsächlich noch der verwirrenden Struktur des alten ehrwürdigen Heiligen Römischen Reiches, das der Vernunftrechtler Samuel Pufendorf einmal als „monstro simile“ bezeichnet hat. – Genau in dieses Gefüge sollte allerdings die Verfassung eine Strukturierung bringen!

Wenn man hingegen meint – und das dürfte ja die Hauptsorge sein –, dass das Volk nicht einmal Sinn, Funktion, Inhalt und Qualität der EU-Verfassung selbst zu beurteilen vermag, so wäre auch das selbstkritisch auszuwerten. Spricht es denn für einen solchen Verfassungstext, wenn ihn selbst Fachleute kaum durchschauen? – Ich selbst nehme mich da gar nicht aus! Oder hält man es für ein Elitenprojekt, das allenfalls noch Berufspolitiker, Diplomaten und EU-Bürokraten angeht? – Dann sollte man aller­dings nicht länger von einer europäischen Identität oder gar von Bürgernähe reden!

Unsere Sicht ist eine Sicht kritischer Loyalität, und ich fasse diese insgesamt wie folgt zusammen: Ohne hier und heute eine abschließende Bewertung über Gelingen oder Misslingen des EU-Verfassungsvertrages vorzunehmen, wollen wir dem Projekt eine ehrliche Chance geben. Wir wollen aber dann, bevor es zur Ratifikation kommt oder zumindest im Anschluss daran, die demokratiepolitisch gebotene Gewähr erfüllt sehen, dass diese EU-Verfassung sowohl dem Gesamtwillen der europäischen Völker als auch dem Willen unserer Bürger entspricht. Ohne eine Volksabstimmung in Österreich, wie wir sie einfordern, und ohne Abwarten der Referenden in anderen maßgeblichen Mitgliedstaaten lässt sich nämlich diese Zustimmung nicht ausreichend belegen.

Deshalb sieht meine Fraktion im heutigen Ermächtigungsgesetz – dem sie zustimmt – zwar den ersten, aber durchaus noch nicht den letzten Schritt auf dem notwendigen Weg zu einer wahrhaft demokratisch legitimierten Verfassung der Europäischen Union. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

18.51


Präsident Mag. Georg Pehm: Zum Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


18.52.01

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Zu etwas vorgerückter Zeit möchte auch ich ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dem Ermächtigungsgesetz, zu dem wir uns heute hier alle bekennen, machen.

Meine Damen und Herren! Auch ich sage ganz offen: Mir als Staatsbürger wäre es von meinem staatsbürgerlichen Grundverständnis auch lieber gewesen, wenn es zu einer Volksabstimmung gekommen wäre, und zwar nicht zu einer Summe einzelner natio­naler Volksabstimmungen, sondern zu einer gemeinsamen europäischen Volksabstim­mung, zu einer Volksabstimmung über die Verfassung, die zum gleichen Zeitpunkt in jedem Staat der Europäischen Union stattfindet und bei der keine nationalen Verhin­derungsmehrheiten geben kann, sondern nur eine europäische Mehrheit oder eine europäische Ablehnung. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

Das wäre, glaube ich, in einem verfassungsgebenden Prozess die angemessene Vor­gangsweise. Eine Verfassung kommt nicht von oben, sondern in der Geschichte sind Verfassungen von unten gekommen beziehungsweise wurden jenen oben abgetrotzt


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