Bundesrat Stenographisches Protokoll 719. Sitzung / Seite 134

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Wir müssen versuchen, das über andere Wege zu erreichen. Ich halte das für einen der wichtigsten Punkte, weil ein „Fleckerlteppich“ von Abstimmungen da und dort zwar zur Kühlung nationaler Mütchen dienen könnte, aber auch wieder dazu dienen kann, dass nationale Politiken sich hinter Brüssel verstecken, gewisse Dinge tun und sich auf Brüssel ausreden – Dinge, die dort zwar schon stattfinden, aber durchaus mit Zustim­mung jener, die das kritisieren.

Insgesamt dürfen wir aber feststellen – und ich glaube, auch darin stimmen wir über­ein –, dass das Projekt mit diesem Verfassungsvertrag einen weiteren großen Schritt vorwärts gegangen ist. Trotz all der Rückschläge bei der europäischen Integration und der Diskussion über die europäische Integration und die mögliche Finalität Europas stimme ich, eventuell sogar dissidenter Weise zu anderen in meiner Fraktion, der Idee zu: Natürlich muss es in Richtung europäischer Bundesstaat gehen!

Gesamt betrachtet gleicht der europäische Fortschritt vielleicht der Echternacher Springprozession, aber er kommt voran. Pavel Kohout hat kürzlich in einem Interview, ich glaube in den „Oberösterreichischen Nachrichten“, Ähnliches festgestellt. Er hat gesagt: „Aber das Projekt Europa ist ein Marathonlauf.“ – Auch bei einem Marathonlauf kommt man gut ans Ziel.

Ich darf auch noch eine Sache ansprechen, die uns, den Bundesrat, in einer besonde­ren Weise betreffen wird, wenn dann später das Vertragswerk selbst zur Abstimmung kommen wird, nämlich die berühmte Subsidiaritätskontrolle.

In diesem Verfassungsvertrag ist ein eigenes Frühwarnsystem zur Kontrolle des Sub­sidiaritätsprinzips vorgesehen, wonach innerhalb von sechs Wochen die nationalen Parlamente Stellungnahmen zu EU-Vorhaben abgeben können, und bei Parlamenten mit zwei Kammern hat jede Kammer eine Stimme. Das heißt, in dieser speziellen Kon­stellation erfährt der Bundesrat ganz sicher eine wesentliche, zumindest rechtstheore­tische Aufwertung, und es wird an uns allen liegen, diese mit Leben zu erfüllen.

Es kommt noch dazu, dass wir auch eine Klage gegen eine mögliche Verletzung des Subsidiaritätsprinzips werden einbringen dürfen, wenn es notwendig sein sollte.

Zehn Jahre Mitgliedschaft bei der Europäischen Union hat Österreich ohne Zweifel viele Fortschritte gebracht. Gleichzeitig erkennen wir, dass Österreich in diesem euro­päischen Kontext noch nicht am Ende des Weges angelangt ist, wie auch Europa im Sinne des „Marathonlaufes“ noch einige Etappen vor sich hat. Wahrscheinlich wird das ein Marathonlauf sein, der immer neue Ziele haben wird und somit vielleicht sogar zu einem 24-Stunden-Lauf oder noch mehr werden wird.

Österreichs Bevölkerung hat sich 1994 mit überwältigender Mehrheit für diesen Beitritt ausgesprochen und damit jene Legitimation ausgesprochen, die Kollege Schennach erwähnt hat.

Unabhängig von allen Stimmungsschwankungen – und sicher hat das Jahr 2000 mit seinen Sanktionen dem Projekt im Bewusstsein der Bevölkerung einen schweren Rückschlag beschert –, unabhängig von allen Stimmungsschwankungen wage ich festzustellen: Bei aller Kritik an der EU, ernsthaft wird nur eine kleine Minderheit in Österreich mit dem Gedanken spielen, die Zeit zehn Jahre zurückzuschrauben und im Status der Schweiz zu verbleiben, zumal wir noch dazu feststellen können, dass Öster­reich in den letzten Jahren durchaus sehr handfeste Vorteile in Relation zur Schweiz erzielt hat.

Europa – und jetzt komme ich zu einem Thema, das für mich ein kleiner Wermutstrop­fen ist; die Grundrechte sind bereits angesprochen worden –, Europa ist insbesondere auch eine Wertegemeinschaft (Bundesrat Ing. Kampl: Soll sie sein!), eine Gemein­schaft der Durchsetzung der universellen Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit. Ich


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