Bundesrat Stenographisches Protokoll 719. Sitzung / Seite 135

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möchte sagen, das Schöne ist, dass die Europäische Union gerade im vorigen Jahr, nämlich am 1. Mai, zehn Staaten, die innerhalb von 15 Jahren einen unglaublichen Transformationsprozess „durchgemacht“ haben – das ist ein schlechtes Wort –, die die Zivilgesellschaft in einer großartigen Weise gestaltet haben, ermutigt hat, durch den Beitritt in der Familie der europäischen Demokratien entscheidend mitzuwirken. Bedau­ert habe ich die Diskussion, die in diesen Tagen im Zusammenhang mit Kroatien statt­gefunden hat, denn ich hätte gemeint, dass Kroatien ermutigt werden muss, weitere Schritte zu machen. (Beifall bei Bundesräten der ÖVP und der Freiheitlichen.)

Es ist für mich eigentlich unverständlich, muss ich ganz ehrlich sagen, mit welchem Maß in diesem Zusammenhang gemessen wird. Mit der Türkei verhandeln, mit Kroa­tien nicht – das ist für mich unvorstellbar. (Beifall bei Bundesräten der ÖVP und der Freiheitlichen.) Das ist einer jener Punkte, die immer wieder zu Rückschlägen im Bewusstsein der Bevölkerung führen.

Alles in allem stelle ich aber trotzdem aus tiefer Überzeugung fest: Das europäische Projekt, an dem wir alle weiterarbeiten sollten, kommt wieder einen Schritt voran. Wir wollen alle am gemeinsamen europäischen Haus bauen. In diesem Sinne darf ich nochmals für unsere Fraktion ein klares Ja zu dem heute vorliegenden Bundesver­fassungsgesetz über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa sagen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

19.09


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Professor Konecny. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


19.09.51

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich sehe wenig Sinn darin, Meinungen, die ich weitest­gehend bis vollinhaltlich teilen kann, nochmals zu wiederholen. Ich möchte mich daher in meinen Ausführungen auf eine einzige, allerdings die wichtigste Frage – keine, die wir zu entscheiden haben – dieser europäischen Verfassung beschränken, nämlich auf die, ob sie zustande kommen wird.

Wir werden – daran kann kein Zweifel bestehen – nicht nur heute das Ermächtigungs­gesetz beschließen, wir werden im Juni – sehe ich das richtig? – die Verfassung selbst beschließen, mit all ihren Vor- und Nachteilen. Es ist für keinen von uns die Ver­fassung, die er selbst geschrieben hätte – aber das sind wir ja aus dem Österreich-Konvent gewöhnt –, es ist ein Kompromiss zwischen den großen politischen Lagern Europas. Kompromisse sind halt so beschaffen, dass die einen wie die anderen nicht eine 100-prozentige Erfüllung ihrer Wünsche darin sehen können.

Es ist – und ich bejahe das vorbehaltlos; ich sage auch dazu, wir sollten das ehrlicher­weise auch gegenüber unseren Landsleuten deutlich zum Ausdruck bringen – nicht die Verfassung der Vereinigten Staaten von Europa, das sicherlich nicht, aber es ist ein klarer Schritt in diese – und ich kann das von mir sagen – von mir als richtig unter­stützte Richtung. Ich freue mich (in Richtung ÖVP) über das Nicken.

Ich habe scherzhaft bei Referaten in Osteuropa gesagt: Die Europäische Union ist zu vergleichen mit einem vor 100 Jahren populären Volksvergnügen, nämlich dem Über­raschungszug. Man steigt ein, kauft ein Ticket, aber man weiß in Wirklichkeit nicht ganz genau, wohin es geht. Der einzige Unterschied ist: Bei diesem Überraschungszug gibt es eine Mitbestimmung der Passagiere.

Genau das ist es, was wir jetzt durchexerzieren. Wir ratifizieren eine mühsam erar­beitete Verfassung, die einen Kompromiss darstellt, die wieder keine Endstruktur der Europäischen Union festlegt, die aber zumindest klarmacht, in welche Weltrichtung –


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