Bundesrat Stenographisches Protokoll 720. Sitzung / Seite 103

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Weiters gibt es das Argument, dass Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“ keine Wider­standskämpfer gewesen wären. – Dass sich 300 000 Menschen der Deutschen Wehr­macht durch Flucht entzogen haben, bedeutet aber, dass 300 000 Menschen – Sol­daten – diese Maschinerie um genau 300 000 Gewehre und andere Waffen ge­schwächt haben. Deshalb ist das, was sie taten, heute anzuerkennen! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Das ist vielleicht unüblich, aber es gibt eine unbekannte Familie aus dem Dorf Schlaiten in Osttirol, und ich möchte, dass diese Familie, ihre Taten und ihr Leiden in das Stenographische Protokoll Einzug halten. – Es ist die Familie Holzer.

David Holzer senior, 60 Jahre, verurteilt zu zehn Jahren Gefängnis wegen Begüns­tigung zur Fahnenflucht; seine Gattin, Stefanie Holzer, sechs Jahre Gefängnis wegen des gleichen Delikts. Wer wurde begünstigt? – David Holzer, 22 Jahre, Todesstrafe, umgewandelt in 22 Jahre Zuchthaus, Arbeitsbataillon; Alois Holzer, 20 Jahre, sieben Jahre Zuchthaus, Arbeitsbataillon, „Frontbewährung“ – gefallen 1944 bei der „Front­bewährung“; Franz Stolzlechner, Verwandter der Familie Holzer, erschossen in Wien, Kagran, am 8. Juni 1944 auf dem Militärschießplatz. – Warum? – 20 und 22 Jahre alt muss man sein, um zu sagen: Da machen wir nicht mehr mit.

Ich bringe Ihnen jetzt ein paar Lebenserinnerungen eines heute 81-jährigen Menschen, nämlich jenes zum Tode verurteilten David Holzer, zur Kenntnis:

„,Ich bin in Glanz geboren, im Jahre 1923, als jüngster Sohn meines gleichnamigen Vaters. Meine Jugendzeit war gut, ich habe Ziegen hüten müssen, war täglich auf der Alm und habe zu Hause geholfen. Und dann ist der Krieg gekommen. Im April 1942 wurde ich zur Wehrmacht verpflichtet. Bei der Wehrmacht habe ich mich zunächst so verhalten, dass die Vorgesetzten zufrieden mit mir waren. Nach der Ausbildung bin ich nach Finnland versetzt worden.‘ (...)

‚Mit der Politik ... Da waren schon die Eltern so und ich war gleich gesinnt wie meine Eltern, wir waren christlich erzogen. Schon vom Einmarsch haben wir nichts wissen wolle, und dann haben die Kreuze in der Schule keinen Platz mehr gehabt. Da ist in einem ein gewisser Widerstand gewachsen. Und dann habe ich beim Militär allerhand gesehen, das mir nicht gepasst hat, der rabiate Umgang mit den Gefangenen, die Unmenschlichkeit. Da ist man auf den Gedanken gekommen, da machen wir nicht mehr mit. Wir wollen noch einmal ein freies Österreich, das war unser Ding.‘“

Während eines Heimaturlaubes im Juni 1943 traf dieser David Holzer seinen Freund Franz Stolzlechner, und sie begannen, in der Nähe ihrer Ortschaft einen Unterschlupf zu bauen. Sie haben sich vom Vater des Herrn Stolzlechner versorgen lassen, und der Jäger hat sie über die politischen Geschehnisse und den Kriegsverlauf informiert.

Dann sagt er: „,Wir haben uns verkalkuliert. Das müssen wir einfach zugeben. Die Amerikaner sind 1943 schon gelandet in Sizilien und wir haben uns halt vorgestellt, ein halbes Jahr noch und dann sind sie da. Aber das hat sich nicht bewahrheitet.‘“

Und dann kam der 11. Jänner 1944, ein Datum, das dem heute 81-jährigen David Holzer nicht mehr aus dem Sinn geht: Es markiert das Ende der Desertion. Franz Stolzlechner wird bei der Beschaffung von Lebensmitteln gestellt und in den Fuß geschossen, und in seinem Rucksack findet man das Namensschild Alois Holzer.

„Am nächsten Tag steht die GESTAPO bereits im Haus der Holzers. ‚Wo habt Ihr Eure Buben? Mein Vater hat gesagt, er wisse nichts. Die GESTAPO erwiderte, wir wissen schon, wo sie sind, die sind da oben in einer Höhle.‘ Die Beamten zwingen den Vater, sich an der Suche nach dem Versteck zu beteiligen, die aber ergebnislos abgebrochen


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