Bundesrat Stenographisches Protokoll 720. Sitzung / Seite 105

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Vereidigung immer gesagt, wenn es möglich ist, lasse ich meine Hand unten. Es war ein großes Risiko, aber ich habe sie herunterhängen lassen, als alle anderen ihre Hand gehoben haben.“ – Insofern sei er nie vereidigt gewesen.

In einem Nachwort sagt der 79-jährige David Holzer über sein Interview und den Bericht: „Am schmerzlichsten überrascht hat mich dieser Bericht wohl selber. Erstmals seit dem Krieg musste ich zur Kenntnis nehmen, dass meine Eltern auch wegen Mithilfe zur Fahnenflucht verurteilt worden sind. Wir haben, um das jeweilige Leid nicht zu vergrößern, überhaupt nicht über die Kriegsvergangenheit gesprochen.“

Noch etwas ist bedenklich: Als nämlich jener Jäger in den frühen achtziger Jahren starb, schrieb Holzer einen Nachruf im „Osttiroler Boten“, in dem er die Desertion und das Schicksal der Gruppe kurz schilderte. – Die einzige Reaktion der Öffentlichkeit waren anonyme Zuschriften, die ihm empfahlen: Schweigen Sie!

Genau das sollen wir 60 Jahre nach Kriegsende nicht! Das Schweigen sollte vorbei sein!

Am 17. Mai 2002 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, Urteile der NS-Militär­gerichtsbarkeit wegen Desertion, Feigheit, unerlaubter Entfernung von der Truppe und weiterer militärischer Delikte pauschal aufzuheben. Per Gesetz wurden in Rechts­nachfolge des NS-Regimes alle entsprechenden Verurteilungen aufgehoben.

Die österreichische Rechtslage beruft sich auf das Jahr 1945 und auf die Amnestie im Jahr 1946. Dies umfasst nicht die Urteile der Sondergerichte und der Zivilgerichte. Meine Damen und Herren! Letztere Gerichte sind aber dafür verantwortlich, dass bis heute Unrecht gegenüber jenen Menschen geschieht, die aus der Deutschen Wehr­macht desertiert sind.

Der damalige Amtsvorgänger unserer Justizministerin erklärte in einer Anfragebeant­wortung, dass grundsätzlich davon ausgegangen worden sei, dass die Verfahren der NS-Justiz rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entsprochen haben. Genauso klar stellte der Minister fest: Vor dem Hintergrund der in der österreichischen Verfassungs­lehre herrschenden Okkupationstheorie kann man die Deutsche Wehrmacht als fremde Armee ansehen. Die heute maßgebende Rechtsauffassung geht dabei davon aus, dass sowohl die Kriegsdienstverweigerung als auch die Fahnenflucht – Desertion – angesichts des verbrecherischen Charakters des Krieges und des totalitären An­spruches des Dritten Reiches gegen die nationalsozialistische Herrschaft gerichtet war, auch wenn ihnen im Einzelnen unterschiedliche Motive zugrunde liegen. – Zitatende.

Meine Damen und Herren! Es geht nicht darum, zu untersuchen, ob jemand feig war oder ob er andere Motive hatte!

Am 20. März 2004 erklärte der damalige Minister Haupt betreffend Zeiten einer wegen Desertion verhängten Haft in Gefängnissen: Wehrmachtsstrafen oder Zeiten in Kon­zentrationslager können grundsätzlich nicht als Ersatzzeiten in der österreichischen Pensionsversicherung angerechnet werden. – Das ist gesetzliche Realität für Menschen, die ein Unrechtsregime in Haft gebracht, verfolgt und gedemütigt hat. Und bis heute verweigern wir diesen Menschen ihr Recht!

Ich sage es jetzt hier noch einmal, und es möge die Empörung groß sein: Dafür, dass dieses Denken von angeblicher Pflichterfüllung und Feigheit bis heute möglich ist, ist eine Organisation maßgeblich in diesem Land, die diesen Mythos bis heute aufrecht­erhält. – Seitens der FPÖ meinte man seinerzeit im Nationalrat, dass als Deserteur zu sterben aber in keinem Land angesehen sei. Viele Hinterbliebene hätten vielleicht gar nicht wissen wollen, dass der Betroffene nicht gefallen, sondern als Deserteur ge­storben sei.

 


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