Bundesrat Stenographisches Protokoll 720. Sitzung / Seite 106

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Was heißt denn „gestorben sei“? – Hingerichtet! Gefoltert! Und warum leben wir in einem Land, wo sich Angehörige nicht trauen, dazu zu stehen? Warum können in diesem Land nicht die wenigen Tausenden stolz darauf sein, sagen zu können: Ich bin desertiert. – Das wäre ein Akt der historischen Hygiene!

Meine Damen und Herren! Diese Sicht widerspricht letztlich auch der Opferdoktrin oder dem Opferbekenntnis Österreichs. Ein Vielzahl von Menschen meint nämlich unter anderem am Wirtshaustisch noch immer, dass wir einen Krieg verloren haben. Unter diesem Blickwinkel können wir uns nicht als Opfer sehen! Viele meinen noch immer, dass wir einen Krieg verloren haben, und können es nicht als Sieg betrachten, dass das bewusste Regime einen Krieg verloren hat. Nur diese Niederlage bedeutet aber unsere Freiheit und unsere Zweite Republik!

Meine Damen und Herren! In diesem Sinne wird meine Kollegin Ruperta Lichtenecker heute einen Entschließungsantrag dazu einbringen, dass wir endlich, 60 Jahre nach Kriegsende und nach 50 Jahren Zweiter Republik, diesen wenigen Menschen in Österreich unsere Achtung aussprechen und ihnen ihre Ehre zurückgeben. Ich betone nochmals: Es geht hier nicht um Amnestie, sondern es geht um Rehabilitierung! Amnestie bedeutet Gnade, Rehabilitierung bedeutet hingegen, dass man Unrecht gutmacht und Gerichtsurteile der NS-Gerichtsbarkeit aufhebt, deren damals so bezeichnete „Ehre“ in der Tat besudelt werden soll!

Meine Damen und Herren! Es muss darauf hingewiesen werden, dass das, was als „Ehre“ bezeichnet wurde, keine Ehre ist. Die NS-Justiz hat nämlich einzig und allein einem Unrechtsregime gedient.

Wir erwarten uns – und das erwarten sich vielleicht auch diese wenigen, die noch leben –, dass ein entsprechendes Denkmal errichtet wird. Es gibt nämlich überall ehrende Andenken, aber kein einziges Denkmal in dieser Republik, das an die Ehre, an das Leiden und an den Mut von Deserteuren der Wehrmachtsmaschinerie erinnert. Es wäre ein stolzes Zeichen, wenn man ein solches Denkmal in diesem Jahr aufstellte und niemals wieder hörten müsste: Deserteure waren feig! (Anhaltender Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

16.33


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser Begründung der Dringlichen Anfrage sollten wir uns, wie ich meine, darum bemühen, den anderen in seinem Schmerz zu verstehen.

So weit meine Bitte, und ich hoffe, dass die Diskussion, die folgen wird, nachdem die Frau Bundesministerin ihre Antwort gegeben haben wird, auch von diesem Verständnis für den Schmerz von Menschen getragen ist. Das ist meine Bitte an Sie.

Ich erteile nun der Frau Bundesministerin zur Beantwortung der Anfrage das Wort.


16.33

Bundesministerin für Justiz Mag. Karin Miklautsch: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren des Hohen Hauses! Ich möchte Ihnen zuerst kurz berichten, dass ich direkt aus Luxemburg angereist bin. Ich habe heute am JI-Rat teilgenommen, habe die Position Österreichs vertreten und habe im Auftrag der öster­reichischen Bundesregierung den Rom-II-Vertrag im Hinblick auf die Erweiterung unterzeichnet. Außerdem habe ich im Hinblick auf das europäische Mahnverfahren und das europäische Strafregister die österreichischen Positionen vertreten.

Ich habe, als ich in Luxemburg angekommen bin, erfahren, dass ich heute zur Be­antwortung einer Dringlichen Anfrage in den Bundesrat kommen soll. Daraufhin habe ich natürlich sofort einen Privatflieger organisiert, damit ich die Beantwortung dieser Dringlichen Anfrage auch persönlich wahrnehmen kann. – Ich möchte damit nur doku-


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