Bundesrat Stenographisches Protokoll 720. Sitzung / Seite 112

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

erforderlich, die auch in Rechnung stellt – in ihrer Großzügigkeit, wenn Sie so wollen –, dass es diese umfassende Regelung 60 Jahre lang nicht gegeben hat und dass der Personenkreis, der es erlebt, dass das beschlossen wird, entsetzlich klein geworden ist.

Das Schicksal jener Generation, die alt genug war, mit dem Einrücken zur Deutschen Wehrmacht konfrontiert zu werden, war in jedem Fall – das ist richtig! – tragisch genug. Für jene – über Prozentsätze zu diskutieren ist sinnlos –, die aus Überzeugung und mit Begeisterung diesen Dienst erfüllt haben, fühle ich mich – nicht moralisch wertend, aber persönlich – nicht zuständig, da fehlt mir der Erfahrungshorizont im Umgang.

Ich kann nur für jene sprechen, weil ich sie gekannt habe oder noch kenne – es sind ja noch welche am Leben –, die gegen ihre tiefe innere Überzeugung in dieser ver­hassten Uniform Dienst getan haben, kämpfen und töten mussten und die – jeder, Jahre hindurch in manchen Fällen – ihren persönlichen Ausweg darin gesucht haben, zu desertieren, sich in Gefangenschaft zu begeben, was in den Augen derer, die die Front erlebt hatten, Herr Kollege Böhm, auch keine besonders attraktive Variante war, oder zu hoffen, mit den ab 1942 sich zurückziehenden deutschen Truppen wieder lebendig in die Heimat, ohne den Umweg über ein Gefangenenlager, zurückzu­kom­men.

Jede dieser Entscheidungen ist in ihrer Art zu respektieren. Jede – buchstäblich jede! – hat alles andere geboten als Sicherheit. Es war eine Entscheidung zwischen drei oder mehr Möglichkeiten, von denen jede ein tödliches Risiko beinhaltete.

Wir wissen, dass der größte Teil jener, die in diesem Weltkrieg in den letzten Kriegs­monaten ums Leben gekommen sind, auf der Seite der Deutschen Wehrmacht zu finden ist. Wir kennen die Geschichte jener, die in den Kriegsgefangenenlager ums Leben gekommen sind. Wir kennen die Schicksale jener mit den minimalen Über­lebenschancen eines Deserteurs, sei es Überleben dadurch, dass er nicht gefangen wurde, sei es Überleben dadurch, dass einmal kein Todesurteil exekutiert wurde und es keine „Frontbewährung“ mit dem sicheren Tod gab.

Aber gerade deshalb, weil wir das alles heute wissen, weil wir heute unbefangener – und die nächste Generation kann das noch unbefangener tun als ich, das gebe ich freimütig zu – an diese Tatsachen herangehen können, ist eine solche gesetzliche Regelung unbedingt erforderlich. Es ist eine Geste – es ist überwiegend eine Geste, das ist mir schon klar –, auf die diese Menschen 60 Jahre gewartet haben, und es ist eine Geste mit Rechtsfolgen, die für einige wenige auch tatsächlich noch etwas bringt.

Das haben sie sich redlich verdient! Nicht nur, indem sie sich dem nazistischen Krieg verweigerten, sondern auch – und da muss ich dem Kollegen Schennach mit großem Schmerz im Herzen Recht geben –, weil sie den größeren Teil ihres Lebens, den sie in einer demokratischen Republik verbracht haben, mit sozialer Ächtung, Ausgrenzung und Beschimpfungen verbringen mussten. Je kleiner die Einheit – das Dorf – war, desto pikanter waren diese Geschichten und desto wirkungsvoller waren solche Aus­schließungen. Auch das ist etwas, wofür sich diese Republik zu entschuldigen hat, nicht durch ein Gesetz, aber durch eine Handlung, die versucht, auch das mit zu berücksichtigen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Wenn wir in diesem Jahr 60 Jahre Zweite Republik feiern – und das zu Recht, es ist eine Erfolgsgeschichte! –, wenn wir uns über die Erfolge freuen, die wir erreicht haben, dann sollten wir jene nicht vergessen, die in ihrer Art und im Rahmen ihrer Mög­lich­keiten die Voraussetzungen mit geschaffen haben, dass wir das erreichen konnten.

Frau Bundesminister! Nach Ihren reichhaltigen juridischen Ausführungen – denen ich, ehrlich gesagt, nicht in jeder Verästelung folgen konnte – möchte ich Ihnen zum Ab-


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite