Bundesrat Stenographisches Protokoll 720. Sitzung / Seite 116

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Erinnern, und beim Erinnern kommen Dinge zum Vorschein, die noch heute ganz mas­sive Reaktionen auslösen.

Ich möchte jetzt ein wenig ausholen. In Tirol wurde vor kurzer Zeit bekannt, dass der ehemalige Landeshauptmann Eduard Wallnöfer Mitglied der NSDAP war. Die ersten Reaktionen von offizieller Seite waren: Keinesfalls, das kann nicht sein, die histo­ri­schen Dokumente müssen gefälscht sein! Landeshauptmann Herwig Van Staa sah in dieser Sache sogar eine Verschwörung gegen seine Person von Seite der Grünen.

Es stellte sich bald heraus, dass alle Historiker, die damit befasst waren – auch die Historiker des Landes Tirol –, die Echtheit der Unterlagen bestätigen mussten. Dann wurde die offizielle Linie abgewandelt: Nun gut, offenbar war er doch formal Mitglied, aber mit der Ideologie hatte er nichts zu tun. Das kann ich nicht beurteilen, ich kannte Herrn Wallnöfer nicht persönlich. Aber mir ist nicht klar, warum es nicht möglich ist, von Anfang an zu sagen, wenn so etwas passiert: Wir nehmen an, dass er keine Nähe zur Ideologie hatte, aber die Sache wird geklärt, und wir schauen uns dann an, was historisch wirklich passiert ist.

Es wäre dies einmal eine Möglichkeit gewesen, sich auch öffentlich damit zu beschäf­tigen, warum wirklich so viele Menschen bei der NSDAP waren. Es wird nämlich oft so getan, als wären eigentlich nur Hitler und Goebbels bei den Nazis gewesen, und sonst niemand. Aber das ist nicht so, das ist keine Tatsache.

Die Rolle, die Österreicher, die Personen in dieser Zeit gespielt haben, wird gern aus­geblendet. Das ist der Teil, der mir in der Geschichte – in der Geschichte, die auch mich betrifft – fehlt. Stattdessen ist die klassische Reaktion bei solchen Geschehnissen sofortige Aufregung, Aufregung und Leugnen. Die Aufregung in dieser Sache, beim Auftauchen der Urkunden, die bestätigen, dass Wallnöfer bei der NSDAP war, diese Aufregung ist symptomatisch und zeigt ganz deutlich die Schwierigkeiten, die wir im Umgang mit unserer eigenen Vergangenheit immer noch haben.

Diese Aufarbeitung wird massiv erschwert durch eine sehr bedenkliche Geschichts­sicht, wie sie manche Politiker vertreten. Wenn zum Beispiel ein Herr Strache sagt: „Aber ein Deserteur, egal in welcher Armee, ist kein Opfer, sondern ein Täter“, dann ist das mehr als bedenklich.

Dass bis heute keine Rehabilitation der von der NS-Militärjustiz als Deserteure verur­teilten Personen stattgefunden hat, ist skandalös und ist eine Schande! Diese Men­schen haben ihr Leben lang darunter gelitten, als Verräter abgestempelt zu sein. Sie sind auch jetzt noch im Pensionsrecht benachteiligt: Dass die Verurteilungen nicht auf­gehoben wurden, heißt auch, dass jene Personen ihre Haftzeit eben nicht als Ersatzzeit für die Pensionsversicherung anrechnen lassen können. Mitglieder der Waffen-SS können das sehr wohl.

Österreich ist das einzige während des Zweiten Weltkriegs von Nazis besetzte Land, in dem Deserteure aus der Wehrmacht weder rehabilitiert noch sozialrechtlich gleich­gestellt sind. Während in Deutschland die Urteile mittlerweile pauschal als unrecht­mäßig aufgehoben wurden, haben sie in Österreich immer noch Geltung – und das, obwohl sich Österreich ja als erstes Opfer bezeichnet! Nach dieser Geschichts­ausle­gung müsste auch die Wehrmacht als fremde Armee betrachtet werden, und insofern wäre auch die Frage einer Desertion anders zu bewerten.

Nach Reinhard Kohlhofer ist Rehabilitierung die „offizielle, öffentliche und individuelle Wiederherstellung der Rechte und auch der persönlichen Ehre der Opfer.“ Das ist ganz klar nicht passiert! Eine Rehabilitierung, von der weder die bestraften und entehrten Personen wissen, noch das zuständige Bundesministerium und schon gar nicht die Öffentlichkeit, ist keine Rehabilitierung.

 


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