Bundesrat Stenographisches Protokoll 720. Sitzung / Seite 118

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Mut hat daher der eine wie der andere, wenn er das – Anständigkeit vorausgesetzt – durchgehalten hat, und das hat der eine wie der andere gewusst., denn auch der Deserteur hat ja gewusst, dass im Grunde genommen die Todesstrafe darauf steht; und es wurden nicht alle Deserteure mit dem Tode bestraft.

In der Wehrmacht dienten rund 15 Millionen Soldaten. Die Wehrmachtskriminalstatistik nennt mit konkreten Angaben die Art, die Zahl und das Strafmaß der von Kriegs­gerichten verhandelten Vergehen und Verbrechen wegen Fahnenflucht. 13 500 Sol­daten aller Dienstgrade wurden deshalb verurteilt. Das sind 0,1 Prozent der gesamten Mannschaftsstärke. 6 000 von diesen 13 500 Soldaten, 6 000 dieser Unglücklichen wurden zum Tode verurteilt. Alle anderen Zahlen, die auch heute zum Teil wieder genannt worden sind, zwischen 20 000 und 50 000 – bitte, den Schrecken kann man mit Zahlen vielleicht auffetten, aber es wird nicht besser, es wird nicht ehrlicher, es wird nicht historisch richtiger. Die genannten Angaben sind durch das deutsche Bun­desarchiv und die in Prag befindlichen Akte des Reichskriegsgerichts erhärtet. Man muss sich nur die Mühe machen, die entsprechende Literatur zu lesen oder selbst dorthin zu gehen.

Von den rund 1 630 Wehrmachtsjuristen fühlte sich die große Mehrzahl dem rechts­staatlichen Denken verpflichtet. Viele Zivilrichter meldeten sich auch deshalb zur Wehrmacht, um nicht politischem Druck ausgesetzt zu sein. Es ist bekannt, dass viele Personen im Deutschen Reich, zu dem auch Österreich gehörte, nur deshalb ein­gerückt sind und sich dabei auch der Folgen des Einrückens, nämlich fallen zu können, bewusst waren, weil sie dem politischen Druck in ihrer Zivilposition nicht ausgesetzt sein wollten.

Auch Wehrmachtsjuristen waren jedoch vor Verfolgung nicht sicher. Der Chef der Rechtsabteilung der Luftwaffe, Generalstabsrichter Dr. Schleicher, und der Chef der Rechtsabteilung des Heeres, Generalstabsrichter Dr. Sack – er ist der Bekanntere von den beiden und wird immer wieder, gerade auch jetzt in den letzten Tagen in den Medien erwähnt – wurden von den Nationalsozialisten hingerichtet beziehungsweise ermordet.

Vor allem Dr. Sack ist hervorzuheben und zu würdigen. Er setzte sich wie zahlreiche andere Wehrmachtsrichter besonders für jene Soldaten ein, für die von der politischen Obrigkeit die Todesstrafe gefordert wurde. – Ja! Es wurde manchmal die Todesstrafe gefordert, und diese Wehrmachtsrichter haben sich nicht alle dem Druck gebeugt.

Unter anderen ist in diesem Zusammenhang besonders Generalleutnant Groppe zu nennen. Sein Sohn, Pater Dr. Lothar Groppe, ein Jesuit, auf dessen Erkenntnissen meine Ausführungen beruhen, war vor rund 30 Jahren unter anderem auch in Öster­reich tätig und hat im Erzbischöflichen Archiv geforscht, inwieweit die stille Hilfe der Katholiken gegenüber den verfolgten Juden gegriffen hat; wahrscheinlich noch immer zu wenig, aber diese Forschungsarbeit wurde von Lothar Groppe hier durchgeführt. Dieser Generalleutnant Groppe, der im Sinne der Machthaber im Grunde genommen eine Lächerlichkeit begangen hat, wurde nur durch das mutige Agieren der ihm unbekannten Wehrmachtsrichter vor der Exekution gerettet.

Sich der Obrigkeit entgegenzustellen, auch dazu gehörte damals Mut! Ich weiß: Da­mals war es oft mit dem Tod verbunden, wenn man den Mut hatte. Aber ich würde mir wünschen, dass heutzutage in Österreich, wo die Todesfolgen nicht eintreten müssen, schon manchmal gegen die Obrigkeit Stellung genommen würde, egal wo und wie.

Es kann doch nicht sein, dass mit einer generellen Rehabilitierung der durch die Wehrmachtsjustiz Verurteilten die großteils unpolitischen mutigen Angehörigen der Wehrmachtsjustiz in ihrer Ehre posthum besudelt werden sollen! Von den deutschen Länderministerpräsidenten – sie sind inzwischen schon gestorben – Börner und Vogel,


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