Bundesrat Stenographisches Protokoll 720. Sitzung / Seite 120

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zu werden, die berechtigte Angst, das muss ich zugeben, denn es gibt wahrscheinlich kaum einen Soldaten, der angstlos ist, denn das wäre schon ein Fall für die Psychiatrie.

Die Fahnenflucht führte oft auch zu Folgedelikten, um ein Entkommen zu ermöglichen. Welche Folgedelikte? – Diese reichten vom Diebstahl hin bis zum Mord. In Österreich gab es zum Beispiel einen Sektionschef – und jetzt bringe ich eine kleine Personal­geschichte –, auf den diese Beschreibung zutrifft. Wahrscheinlich kennt ihn Professor Konecny persönlich. Es war dies Sektionschef Grimburg, er wurde Sektionschef im Wissenschaftsministerium. Er hat in der Nacht vor der Kapitulation in Norwegen als Unteroffizier den Ersten Offizier und Kompagniekommandanten namens Kuhn im Schlaf erschossen.

Desertion, Widerstandskämpferhandlung? – Eine Gruppe dieser Soldaten ist dann klarerweise abgehauen, einigen wenigen gelang die Flucht nach Schweden, unter anderen Sektionschef Grimburg. Die anderen wurden von deutschen Soldaten, denen die Kapitulation schon verkündet worden war, eingeholt und gefangen genommen. In der Gefangenschaft wurde ihnen – da mögen wir jetzt darüber staunen oder auch nicht – im Namen des deutschen Volkes das Todesurteil ausgesprochen, welches von der englischen Oberhoheit in Norwegen bestätigt worden ist. Sie wurden dann noch in der Gefangenschaft von ihren Kameraden wegen ihres Handelns erschossen.

Wenn Deserteure Sabotage begangen haben, zum Beispiel auf dem Rückzug eine Brücke gesprengt und dadurch ihren Kameraden den Rückzug erschwert – wenn nicht gar unmöglich gemacht haben, kann ich darin nichts Ehrenvolles und für die Republik Aufbauendes sehen. Das ist jene Art von Deserteuren, die selbstsüchtig eigentlich nur ihr Leben retten wollten. Dafür habe ich zwar grundsätzlich Verständnis, aber das darf nicht zu Lasten anderer gehen, liebe Kollegen und Kolleginnen.

Wenn hier in der Anfrage angeführt wird, liebe Kollegen und Kolleginnen, dass beide Gesetze gerichtliche Überprüfungsverfahren in jedem Einzelfall vorsehen, damit nicht nur die gesetzlichen Voraussetzungen überprüft werden, sondern auch das Zusam­mentreffen mit Allgemeindelikten abgeklärt wird, bei deren Vorliegen eine Straffest­setzung in einem neuen ordentlichen Verfahren einzuleiten sei, so ist das jedoch 60 Jahre nach Kriegsende praktisch unmöglich.

Kollegen und Kolleginnen von der ÖVP! Ich würde mich freuen, wenn Sie ein bisschen für Ruhe sorgten. Ich schweige auch bei Ihren Ausführungen. – Danke vielmals für die Hilfe.

Diese Bemerkung, dass 60 Jahre nach Kriegsende ein Strafverfahren praktisch un­mög­lich ist, ist deshalb bedeutsam, weil noch immer von einzelnen und einschlä­gigen Kreisen gefordert wird, Kriegsverbrecher beziehungsweise bis zum Zeitpunkt einer Verurteilung so genannte Kriegsverbrecher zu nennen und ausfindig zu machen. Wenn es in einem Fall unmöglich ist – anscheinend unmöglich ist –, den Sachverhalt zu klären, dann muss es im anderen Sachverhalt ebenso unmöglich sein und der Rechts­staatlichkeit widersprechen. Ich persönlich bedauere es daher zutiefst, dass Verjährungsfristen mit 30 Jahren nicht eingehalten werden können.

Wollen die Anhänger dieser zeitgeistig-politischen Strömungen derartige Verbrechen nur deshalb rehabilitieren, weil diese von einem streng rechtlich handelnden Kriegs­gericht verurteilt worden sind? Und ich betone noch einmal: Kriegsgerichts­verhandlun­gen waren eine streng rechtliche Einrichtung, so wie wir in Österreich auch Militär­gerichte haben, die im Fall des Falles handeln werden müssen.

In einem Punkt gebe ich Ihnen allerdings Recht, liebe Kollegen: Volksgerichtshofurteile vor und nach dem Krieg und Urteile der so genannten Standgerichte waren ein Hohn


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