Bundesrat Stenographisches Protokoll 720. Sitzung / Seite 128

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18.10.52

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich habe mir die Freiheit erlaubt, als Erster und, wie ich glaube, auch als letzter Redner das Wort in dieser Debatte ergriffen zu haben.

Meine Damen und Herren! Ich komme noch einmal zurück auf das kleine Dorf Schlaiten in Osttirol. Auf dem dortigen Friedhof steht auf einem Grabstein: Franz Stolzlechner, geboren am ..., gestorben am 8. Juni 1944, Wien; sonst steht nichts drauf.

Genau das ist das, worum es uns geht: Es ist dieses Denken, mit der „Gnade“, da ist etwas zurückgeblieben. Das ist die Diskussion, die wir heute geführt haben. Reha­bilitierung heißt, zuzugeben, dass Unrecht geschehen ist.

Kollege Kampl hat gemeint, wir sollten doch feiern im Jahre 2005. – Ich meine, wir sollten bedenken, was alles all die Jahrzehnte hindurch weitergewirkt hat, was nicht aus dem Denken so mancher auszurotten ist, was alles in Sprach- und Rede­wendungen, die wir oft so bedenkenlos verwenden, seinen Ursprung in dieser Zeit hat, über die jetzt gesprochen wurde.

Meine Damen und Herren, wir sollten uns – und da geht es jetzt auch um so kleine Kommunen wie etwa Schlaiten in Osttirol – diesen landläufigen Meinungen stellen. Deshalb betrachte ich diese Diskussion jetzt als einen Akt der Bewusstseinsbildung, nämlich dahin gehend, gegen diesen unendlich lange grassierenden Bazillus anzutre­ten, der oft noch immer lautet, diese 300 000 Menschen, die einer verbrecherischen Armee davongelaufen sind, seien „Feiglinge“, „Vaterlandsverräter“ oder „Kameraden-Schweine“.

Lieber Ludwig Bieringer! Ich verstehe, dass du hier für den Kameradschaftsbund auf­trittst, aber es war genau die Person des Präsidenten des Kameradschaftsbundes Otto Keimel, der eine Willensbildung, die 1999 im Nationalrat bereits abgeschlossen war, aufgerissen hat, interveniert hat und gesagt hat: Wir müssen genau schauen, wer aus diesen Gründen geflohen ist und wer als Feigling quasi seine Pflicht nicht bis zum Schluss erfüllt hat. Und eben diese Interventionen dieser mächtigen Organisation sind der Grund dafür, dass wir das (der Redner hält eine schriftliche Unterlage in die Höhe) nach wie vor nicht haben.

Lieber Herr Gudenus! Mir ist völlig Wurscht, welche Plaketten die Rote Armee verteilt, in Warschau, in Budapest oder in Wien, ob das einmal Eroberungs- oder einmal Befreiungsmedaillen sind, das Ergebnis ist dasselbe: Wir haben freie Staaten gewon­nen, und ein mörderisches Regime wurde besiegt. Welche Plaketten die Rote Armee für sich intern verteilt hat, ist mir egal! (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.) In dieser Diktion können Sie in irgendwelchen Sekten-Postillen über Seiten ab­handeln, dass das eine erobert, das andere befreit ist, aber der Nationalsozialismus wurde besiegt, und die Zweite Republik ist daraus erwachsen.

Frau Präsidentin Zwazl hat mich in dieser Diskussion gefragt: Wo hapert’s denn?, wenn ich das so verkürzt sagen kann. Es hapert daran – und das hat ein Minister bestätigt –, dass man den Schergen die Pensionszeiten anrechnet, aber den Opfern nicht! Daran hapert es. Und es hapert auch daran, dass der österreichische National­fonds noch 1995 – das ist gar nicht lange her, vor zehn Jahren! – Entschädigungs­an­suchen von Deserteuren zurückwies, und zwar mit der Begründung, sie sollten die politischen Motive der Fahnenflucht beweisen. – Sollen die die alten Offiziere der Armee anrufen und sagen: Bestätige, dass ich wegen euch geflohen bin!?

 


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