Bundesrat Stenographisches Protokoll 721. Sitzung / Seite 22

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Was ich aber jedenfalls berichtigen muss, ist der Hinweis, ich hätte im bloßen generellen Anwendungsvorrang des Europarechts die Gesamtänderung erblickt. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Anwendungsvorrang des Gemein­schaftsrechts stets Stand war, bereits zum Zeitpunkt unseres Beitritts, und dass wir das gewusst haben, zumindest die Informierten.

Ich sagte nur, dass die herrschende Verfassungslehre trotzdem der Meinung war, dass es ungeachtet der Modifikationen durch das vorrangige Gemeinschaftsrecht, die auch bis in unsere Verfassung hinein reichen, noch immer einen integrationsfesten Wesenskern unserer Verfassung gebe, und sollte dieser nochmals modifiziert werden, müsse das erneut einer Volksabstimmung unterzogen werden.

Nun gebe ich zu, das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, das ist eine politische und verfassungsdogmatische Wertungsfrage, ob ein solcher neuerlicher Quantensprung, eine solche neuerliche Änderung der Dimension eingetreten ist. Ich persönlich bin dieser Meinung.

Ich möchte es noch einmal betonen: Nichts gegen die EU-Verfassung als solche – diese begrüße ich inhaltlich, und so, bitte, wäre mein Votum nicht zu verstehen –, aber ich bin nach wie vor der Meinung, es ist ein neuerlicher Qualitäts- und Quantensprung eingetreten, der eine obligatorische Volksabstimmung erfordert. Ausschließlich das ist der Grund meiner Ablehnung. Ich habe in inhaltlicher Hinsicht überhaupt nichts gegen diese Verfassung, und ich stimme Ihnen auch ausdrücklich zu, dass ich eine europaweite, einheitliche Volksabstimmung vorgezogen hätte. – Danke. (Beifall bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

10.24


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Gude­nus. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


10.24.54

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Gestatten Sie mir als einem der wenigen Kontraredner einige vielleicht auch überzeichnete Überlegungen zur Ablehnung dieser vorgelegten Verfassung; es ist ja ein dickes Buch.

Einleitend zwei Zitate. Das eine stammt vom Deutschen Wilhelm Röpke, dem großen liberalen Ökonomen, der gegen die Nazis kämpfte. Röpke schrieb: „Europa zu zentralisieren und es zu einem Block zu verschmelzen, wäre nichts anderes als ein Verrat an Europa und dem europäischen Erbe – ein Verrat, der dadurch nur noch verschlimmert würde, dass er im Namen Europas ausgeführt würde.“ Dieser Verrat findet meines Erachtens jetzt leider statt.

Das zweite Zitat. Ein gebildeter Mann wie der Historiker und Diplomat Salvador de Madriaga meinte noch 1958 in der „Neuen Zürcher Zeitung“, Wien müsse zur neuen Hauptstadt des neuen Europas gemacht werden, das er mit Prophetenblick schon vereint sah. – Diese Überlegung findet leider nicht statt.

Der vorliegende Vertrag greift tief in die nationalen Verfassungen ein und beraubt sie ihrer Autonomie. Obwohl damit ein Grundpfeiler der Demokratie angetastet wird, erhal­ten nicht alle Bürger das Recht, über ihre staatliche Zukunft direkt abzustimmen. – Auch die österreichische Bevölkerung nicht, obwohl 52 Prozent der Befragten ange­ben, dass sie es gerne hätten, wenn eine Volksabstimmung stattfände.

Staatsspitzenpolitiker meinen aber, eine Volksabstimmung über die Europäische Ver­fassung würde Populisten eine Bühnen bieten. Umso demokratisch erfrischender wirkt da die Initiative des Deutschen CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler. Gauweiler stützt sich auf die Rechtsanalyse des Erlangener Staatsrechtprofessors und


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite