BundesratStenographisches Protokoll727. Sitzung / Seite 96

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

14.49.24

Bundesrat Dr. Peter Böhm (ohne Fraktionszugehörigkeit, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Frau Volksanwältin! Sehr geehrter Herr Volksanwalt! Geschätzte Damen und Herren des Hohen Hauses! Einmal mehr – von meiner Seite heute im Bundesrat ein letztes Mal – ist der heute bereits rechtsstaatlich unverzichtbaren, so bürgernahen wie engagierten Arbeit der Volksan­waltschaft höchster Dank, Anerkennung und Respekt auszusprechen.

Wenn Ihren, aus Ihrer praxisbezogenen Tagesarbeit erwachsenen rechtspolitischen Anregungen bis heute leider vielfach nicht ausreichend entsprochen worden ist – Herr Kollege Schennach hat das auch schon zutreffend angesprochen –, und zwar auch solchen legislativpolitischen Forderungen, die seit mehreren Jahresberichten wieder­holt erhoben wurden, so kann ich das nur bedauern. Da müssen wir uns in beiden Häusern selbstkritisch auf die Brust klopfen. Ich hoffe, dass wir uns da verbessern wer­den.

Aus meinem engeren Tätigkeits-, Wissens- und Erfahrungsbereich im Zivilberuf be­klage ich vornehmlich, dass es unverändert gravierende Missstandsfeststellungen im Bereiche der Justiz gibt; ich stimme da auch mit Kollegen Reisenberger voll überein. Diese bereits in mehreren Debatten im Hohen Haus auf Grund wiederholter Beanstan­dungen in den laufenden Tätigkeitsberichten der Volksanwaltschaft geübte Kritik ist leider nur vereinzelt auf fruchtbaren Boden gefallen.

Eine echte Schwachstelle sehe ich daher nach wie vor im Bereich der Dienstaufsicht seitens der Justizverwaltung, sei es bei institutionellen Vorkehrungen der Prävention, der Ausbildung und der Personalauswahl – und damit meine ich nicht etwa den ominö­sen Psychotest –, sei es bei leider auch nötigen repressiven Maßnahmen, gemeint, echten Sanktionen im Dienst- und Disziplinarrecht in Fällen schwer wiegenden Fehl­verhaltens gerichtlicher Organe. Anders wäre es sonst undenkbar, dass sensible Ge­richtsverfahren überlange dauern, zum Beispiel bei Sorgerechts- und Besuchsrechts­streitigkeiten im familiären Bereich, bei Erbrechtsstreitigkeiten oder sogar bei Unter­haltsrechtsstreitigkeiten, die für die anspruchsberechtigten Personen zweifellos eine existentielle Bedeutung haben. Mehrfach wurde Österreich in dieser Richtung bereits vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, namentlich des Artikels 6, bescheinigt, der eine angemessene Verfahrensdauer garantiert.

Im gegenwärtigen Jahresbericht wird unter anderem von einem Obsorgestreit berich­tet, der fünfeinhalb Jahre lang dauerte und damit endete, dass das arme mehrfach hin und her geschobene Kind irreversibel verkrüppelte Füße hatte, und das, obwohl der Vater Facharzt für Orthopädie war.

Ein anderer einschlägiger Obsorgestreit dauerte sechs Jahre. Es war dies der spekta­kuläre Fall von Großgmain, der auch durch die Zeitungen ging, wo es sogar zu einer gewaltsamen Übergabe des Kindes kam, und zwar in einer Weise, wie man das nicht vollziehen kann. Zum Glück wurde das auch im Justizministerium zum Anlass genom­men, sich da andere Ausbildungen der Gerichtsvollzieher und überhaupt andere Maß­nahmen, bis hin zur Einrichtung eines Kinderanwalts, zu überlegen.

Erneut plädiere ich daher angesichts dieser Lücken und Defizite im Bereich der Dienst­aufsicht für die rechtspolitische Forderung der Volksanwaltschaft, ihr die prozessuale Legitimation für einen Fristsetzungsantrag im Sinne des § 91 Gerichtsorganisations­gesetz einzuräumen, denn entgegen der Besorgnis des Bundesministers für Justiz und der Richterschaft wäre das meines Erachtens durchaus keine Durchbrechung des Grundsatzes der Gewaltenteilung, denn die Antragsbefugnis ist ja keine Entschei­dungsbefugnis. Stets hätte das zuständige Gericht höherer Instanz darüber zu befin-


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite