Bundesrat Stenographisches Protokoll 730. Sitzung / Seite 110

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

18.28.12

Bundesrätin Mag. Gertraud Knoll (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Es tut mir sehr Leid: Ich kann diese satte Zufriedenheit meines Vorredners beziehungsweise auch die der Frau Bundesministerin in keiner Weise teilen! (Zwi­schenrufe bei der ÖVP.) Wenn jemand vor Durst fast umfällt, dann nimmt er lieber ein Sechszehntel Glas Wasser, bevor er gar keines bekommt – auch wenn er lieber einen halben Liter trinken würde. Nur: Das ist immer noch eine Erste-Hilfe-Maßnahme, trägt jedoch nicht zu einer elementaren Verbesserung bei, geschweige denn zu einer tat­sächlich befriedigenden Linderung eines schmerzlichen Zustandes.

Sich jetzt hinzustellen, wie das die ÖVP und Sie, Frau Ministerin, tun und diese zwei Schulpakete wieder einmal als „Jahrhundertreform“ zu preisen, stellt meiner Ansicht nach einfach eine eklatante Realitätsverweigerung dar! Sie blenden doch ganz zentrale Fragen aus.

Es geht nicht darum, blind zu sein für all das, was in den Schulen Gutes geschieht – und Sie wissen sehr genau, Frau Bundesministerin, dass ich viele Schulen in Öster­reich, vor allem im Burgenland, von innen kenne und weiß, wie viel Gutes in den Schu­len geschieht –, aber: Unser österreichisches Schulsystem wird so lange nicht wirklich zukunftsfähig sein, solange es dazu beiträgt, dass Armut und schlechtere Jobchancen Kindern sozusagen vererbt werden.

Das ist eine Tatsache, eine empirische Tatsache, die man nicht einfach leugnen kann: Das Bildungssystem unterstützt diese traurige soziologische Konstante, dass Armut und schlechtere Jobchancen vererbt werden. Das haben Sie in den letzten Jahren leider alles noch beschleunigt und zugespitzt: durch eine ständige Streichungspolitik, durch Fehlen von Integrationswillen, durch eine Welle von Frühpensionierungen von Lehrerinnen und Lehrern nach der so genannten Pensionsreform ohne entsprechende Nachbesetzung durch junge LehrerInnen, durch ständige Stundenkürzungen gerade in den Fächern, in denen individuelle Talente und Interessen zu fördern gewesen wären – wahrscheinlich mit der Absicht, dass sich diese Stunden irgendwann von selbst auflö­sen werden. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Die internationalen Bildungsvergleichsstudien werden jetzt immer wieder erwähnt, wie man es will, und sie werden auch zum Zitieren gebraucht. Ich höre zum ersten Mal, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Finnland höher als in Österreich ist. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Aber die internationalen Bildungsvergleichsstudien belegen unmissver­ständlich, dass der Weg, der in Österreich eingeschlagen worden ist, exakt der falsche ist.

Sie belegen auch den exakt richtigen Weg, dass nämlich die besten, egalitären Mo­delle in den skandinavischen Ländern von der Frage nach dem Angebot der Fähigkei­ten der Kinder ausgehen. Das ist der entscheidende Punkt, vom Angebot nach den Fähigkeiten der Kinder auszugehen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.) Es gilt dort jene Schule als gute Schule, die jedes einzelne Kind zu einem möglichst hohen Bil­dungsabschluss bringt, damit seine Zukunftschancen intakt sind und damit nicht die Herkunft über die eigene Zukunft entscheidet.

Wie ist das bei uns in Österreich? – Die ÖVP fordert und fördert immer noch das Kli­schee von der guten Schule, in der möglichst viele durchfallen. Das ist eine gute Schule, in der möglichst viele durchfallen, in der möglichst viele hinausgesiebt werden, und sie warnt ideologieblind ... (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Entschuldigen Sie, wir hatten gerade wieder ein Beispiel dafür, dass die Gesamtschule als Gegenteil der indi­viduellen Förderung dargestellt wird! Das kann man wirklich nicht glauben.

Das sind die Killer-Argumente der ÖVP, dass Sie dann sagen: das ist die Eintopf-Schu­le, dort wird alles nach unten nivelliert!, wenn man Beispiele vorbringt und ernsthaft die


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite