Bundesrat Stenographisches Protokoll 734. Sitzung / Seite 37

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Vizepräsident Jürgen Weiss (den Vorsitz übernehmend): Wir gehen in die Debatte ein.

Erster Redner ist Herr Bundesrat Vilimsky. – Bitte.

 


11.11.00

Bundesrat Harald Vilimsky (ohne Fraktionszugehörigkeit, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesräte! Die Kameras sind weg, die Fotoapparate sind weg, die Journalisten sind weg, die europäische Ka­rawane zieht weiter. Was zurückbleibt, sind viele schöne Worte, Beteuerungen, aber keine neuen Beteuerungen, sondern Beteuerungen, die man seit vielen Jahren hört. In der Sache hat sich eigentlich nicht viel verändert.

Herr Kommissionspräsident Barroso erhält heute einen sehr selektiven Ausschnitt un­seres Landes und unserer Stadt. Er sieht diese würdigen Hallen hier, er wird in diver­sen Nobelhotels und bei Kongressen hier seinen Positionen ventilieren, aber er wird nicht des Eissturmes ansichtig, in dem sich viele Österreicher befinden. Seit Beginn der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist in Österreich die Armut rasant im Wachsen, die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie nie zuvor, unsere Sozialsysteme werden an eine Belastungsgrenze geführt, Gesundheits- und Pensionssystem wackeln, aber wir hören immer noch, beispielsweise auch heute, dass eine europäische Super-Ver­fassung weiter erarbeitet werden soll, welche unseren nationalen Entscheidungsräu­men den letzten Rest von Luft abschneiden würde.

Ich habe überhaupt den Eindruck, dass in Europa ein Kurs verfolgt wird, der nicht von den Menschen getragen wird, sondern am Tisch von einigen Mächtigen, von einigen Industriekapitänen definiert wird, wo es Schnittstellen zur Europäischen Kommission gibt, und in weiterer Folge haben das Europäische Parlament und die nationalen Parla­mente das umzusetzen, was demokratisch nicht legitimiert in Gang gesetzt wurde.

An diesen Tischen, an denen der Kurs Europas bestimmt wird, sitzen keine Arbeitneh­mervertreter, da sitzen nicht Vertreter der Familien in Europa oder auch in Österreich und können mitreden, wie dieser Kurs auszusehen hat. Der Kurs ist ein Kurs ohne so­ziales Herz und ein Kurs ohne soziales Verständnis. Da dominieren in erster Linie die Aussichten auf gute Gewinne und günstigste Standortbestimmungen mit möglichst ge­ringen Sozialstandards.

Man hat während der ersten Welle der Osterweiterung erlebt, wie Betriebe dorthin ab­siedeln, um die günstigen Produktionsbedingungen zu nutzen, und jetzt geht man einen Schritt weiter und fährt noch einmal das Sozialniveau ein Stück hinunter. In Rumänien und Bulgarien sind die Sozialstandards sicherlich wesentlich geringer als in den bereits aufgenommenen Mitgliedsländern der EU.

Dass Sie heute hier diesem Kurs Ihre Zustimmung erteilen, ist meiner Ansicht nach nicht anders zu verstehen, als dass Sie das tun, weil es ein Kurs ist, der gegen die Be­völkerung in Österreich gerichtet ist. Das war aber auch schon so, als grünes Licht zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei gegeben wurde. Fast 90 Prozent der Österreicher waren dagegen – trotzdem hat es grünes Licht gegeben!

Weitere Untersuchungen zeigen, dass nur 17 bis 20 Prozent der Österreicher für eine weitere Osterweiterung sind. Für die 80 bis 83 Prozent der Österreicher, die dagegen sind, die auch gegen einen Beitritt Rumäniens und Bulgariens im gegenwärtigen Zeit­punkt, 2007 oder 2008 sind, für die will ich heute das Wort ergreifen.

Ich will außer Streit stellen, dass Rumänien und Bulgarien Teil der europäischen Völ­kerfamilie sind, und Rumänien und Bulgarien sollen und müssen auch Teil dieser Euro­päischen Union werden, aber nicht 2007 und nicht 2008, sondern erst dann, wenn die


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