BundesratStenographisches Protokoll797. Sitzung / Seite 95

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Freihandelsabkommen mit Indien und die damit verbundene Liberalisierung des Marktes für landwirtschaftliche Produkte stellt eine massive Bedrohung der Lebens­grundlage für die überwiegende Anzahl der in der Landwirtschaft tätigen Menschen in Indien dar, von denen ja auch 90 Prozent Kleinproduzenten sind. Damit steht aber auch die Ernährungssicherheit auf dem Spiel!

Also ich glaube, es ist sehr notwendig, noch öffentliche Debatten über diese Freihan­dels­abkommen zu führen und sich wirklich und tatsächlich die Frage zu stellen, wer davon den Nutzen hat.

Es soll auch nicht so sein, dass dieses wirtschaftliche Ungleichgewicht dann auch noch ausgenutzt wird. So eine Handelspolitik konterkariert ja gerade die Bemühungen in der Entwicklungspolitik. Solange der Großteil der Menschen in Entwicklungsländern in Armut lebt und Krisen diese Regionen erschüttern – das habe ich auch heute gesagt –, wird natürlich Migration und Flucht die Folge sein. Gerade die Wirtschaftspolitik und Handelspolitik ist ja auch ein sehr notwendiges Steuerungsinstrument, um soziales Gleichgewicht in einer Gesellschaft herzustellen. Wir dürfen uns diese ungleichen wirt­schaftlichen Bedingungen nicht zunutze machen.

Zu welchen Revolten soziale Ungleichheit, breite Armut und Arbeitslosigkeit führen können, haben uns ja in einem Dominoeffekt vor nicht allzu langer Zeit mehrere Länder in der arabischen Welt gezeigt. Die jüngste Bevölkerung der Welt befindet sich in dieser Region. 60 Prozent der arabischen Bevölkerung ist unter 25 Jahren, bei einer Arbeitslosenrate in manchen Ländern – wie zum Beispiel in Jemen – mit bis zu 70 Pro­zent.

Von diesen Veränderungen und Umbrüchen in der arabischen Welt nimmt dieser Bericht jetzt noch keine Kenntnis. Das ist natürlich auf die Aktualität zurückzuführen. Das zeigt auch sehr gut, wie rasch sich politische Ereignisse überschlagen können und politische Umwälzungen angesichts angespannter sozialer Situationen in vielen Län­dern vonstattengehen können.

Was aber in diesem Bericht schon erwähnt wird, ist die Union für das Mittelmeer. Das ist eine Gemeinschaft zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den Mittelmeer-Anrainerstaaten und Jordanien und Mauretanien, deren Eckpfeiler bisher Ägypten und Tunesien gewesen sind.

Diese Union für das Mittelmeer ist damals auf Initiative von Nicolas Sarkozy im Jahr 2008 entstanden. Bis zu seinem Rücktritt war Husni Mubarak, also der ehemalige ägyptische Staatspräsident und Diktator, gemeinsam mit Nicolas Sarkozy Vorsitzender dieser gemeinsamen Union. Heute ist die Union für das Mittelmeer angesichts des Sturzes dieser diktatorischen Regime natürlich politisch gelähmt. Ägypten und Tunesien – das muss man auch so sagen, wie es war – waren und galten bis zum Sturz der Diktaturen als wesentliche Bündnis- und Kooperationspartner.

Wirtschaftliche und politische Kooperationen gingen eben mit diesen Mittelmeerstaaten vonstatten, ohne dass sich die Europäische Union ansatzweise nur damit befasst hätte, mit welcher Brutalität die Menschen demokratischer und politischer Rechte in diesen Ländern beraubt wurden. Nicht nur, dass Tunesier in Tunesien Angst hatten, über die politische Situation in Tunesien zu reden, sondern viele Tunesier erlebten ja auch die gleiche Situation im Ausland und trauten sich nicht, über das, was in ihren Ländern passierte, zu reden, weil auch Geheimdienstleute überall waren.

Aus meiner Sicht gibt es unterschiedliche Gründe dafür, weshalb die Europäische Union bisher nicht als Bedingung für die Kooperation die Einhaltung demokratischer Rechte eingefordert hat. Zum einen hat man tatsächlich geglaubt, dass man in Koope­ration mit diesen Diktatoren ein Bollwerk gegen islamischen Fundamentalismus


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