BundesratStenographisches Protokoll855. Sitzung / Seite 22

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

9.52.28

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Herr Vize­kanzler! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Damen und Herren an den Bildschir­men! Das Thema heißt „Aufschwung Standort Österreich“. – Aufschwung ist etwas, das immer auch mit Stimmung, mit Vertrauen zu tun hat. Eine Neubesetzung, eine Veränderung, wie sie jetzt in der Regierung stattgefunden hat, kann hier durchaus po­sitive Wirkung entfalten. Der Placebo-Effekt in der Medizin ist ja auch unumstritten, kaum ein Medikament erreicht eine ähnliche Wirksamkeit.

Ich meine das nicht sarkastisch, meine Damen und Herren, sondern es ist das der ernstgemeinte Wunsch, dass diese Veränderung diese Wirkung entfalten möge, denn ich glaube, dass das dringend notwendig ist, und das ist mehr als die halbe Maut für das, was wir uns alle wünschen, nämlich eine gedeihliche Entwicklung, ein gutes Leben für möglichst viele Menschen, unabhängig von ihrer Rasse, Nationalität et cetera. Also: Nennen wir das Aufschwung!

Die Entwicklung des BIP und anderer Kennzahlen halte ich nur für bedingt tauglich, um das zu messen, was wir eigentlich unter Aufschwung verstehen, nämlich das Wohl­ergehen der Menschen. Es gibt da inzwischen bessere oder überarbeitete Indizes wie den BLI, den Better Life Index, der OECD oder den HDI, den Human Development Index der UNO. Ich glaube, man sollte beginnen, auch mit solchen Indizes zu arbeiten, um zu messen, was wir wirklich möchten, wenngleich Zahlen offensichtlich ohnehin relativ bedeutungslos sind, wie es uns der Brexit und das Arbeiten mit solchen Zahlen zeigen.

Aber natürlich erwarten wir uns von Ihnen, Herr Vizekanzler, und von der neuen Regie­rung mehr als einen Placebo-Effekt. Wir erwarten uns, dass Sie es endlich zu­stande bringen, dass diese Regierung ihre Hausaufgaben macht, die da sind: erstens eine ökosoziale Steuerreform.

Unter Fachleuten ist es nach Paris mittlerweile unumstritten beziehungsweise hat die letzte Klima-Enquete gezeigt, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft, also raus aus Öl und Gas, bis 2050 notwendig ist. Wir als entwickelte Nation sollten schon 2030 so weit sein. Aber das wird nur mit einer entsprechenden ökosozialen Steuerreform möglich sein. In Österreich fließen nach wie vor viele Fördermittel in das fossile System. Über 4 Milliarden € an Fördermitteln fließen in das fossile System, und das muss geändert werden.

Auf der anderen Seite ist es dringend notwendig, die Steuern auf Arbeit abzubauen. Die sind international gesehen viel zu hoch. Die letzte Reform war da viel zu schwach. Es gibt mit einer gut gemachten ökosozialen Steuerreform ein Umsteuerungsvolumen von über 4 Milliarden € aufkommensneutral. Es sind die Schadstoffverursacher und die Ressourcenverschwender viel zu niedrig besteuert, und zwar auch im internationalen Vergleich. Da liegen wir im unteren Drittel. Während wir bei der Arbeitsbesteuerung ganz vorne sind, liegen wir bei der Ressourcenbesteuerung und bei der Umweltbesteu­erung im unteren Drittel. – Das wäre der erste Punkt.

Der zweite wichtige Punkt heißt Verwaltungsreform und Deregulierung. Der schei­dende Rechnungshofpräsident hat ja 1 007 Vorschläge vorgelegt, ein dickes, umfang­reiches Konvolut, wo man sieht, dass die Potenziale in diesem Bereich wirklich groß sind. Aber das ist nicht nur unter dem Aspekt „Einsparungen“ zu sehen, sondern das ist sehr viel umfangreicher, sehr viel komplexer, sehr viel wichtiger. Und ich bitte Sie dringend: Beginnen Sie diese Dinge abzuarbeiten!

Mich stimmen die Vorgänge rund um den neuen Finanzausgleich sehr pessimistisch, ich bezweifle, dass da wirklich etwas Substanzielles weitergehen könnte. Wir haben im Prinzip in unserem föderalen Staat ja ein ähnliches Problem wie in der EU: Jeder ist


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite