BundesratStenographisches Protokoll863. Sitzung / Seite 174

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step, da ich schon ansprechen möchte, was Frau Bundesrätin Mühlwerth hinsichtlich Neukölln angeschnitten hat, die schlechten Schulerfolge in Neukölln, und auch die Be­gründung dahinter, dass das auf die hohe Anzahl von Migrantenkinder zurückzuführen wäre. Neukölln ist das Thema, ich muss es leider kurz aufgreifen. Ich möchte diese Mög­lichkeit aber nutzen.

Ich war vorige Woche in Neukölln. Ich war an der Rütli-Schule in Neukölln. Und wem die Rütli-Schule bekannt ist, der weiß, wovon ich jetzt spreche: Diese Schule stand vor acht Jahren vor der Schließung, weil diese Schule unglaubliche Probleme hatte: Ge­walt, Konflikte – Ende nie! –, Lehrer, die sich eigentlich ohne Handy nicht mehr in die Klas­sen getraut haben, weil es immer wieder so heftige Konflikte gab, dass es zu Polizei­einsätzen kam et cetera, und von den Schulerfolgen dort brauche ich nicht zu reden.

Die Pädagoginnen und Pädagogen haben innegehalten und darüber nachgedacht, ob sie die Schule schließen oder ob sie sich ein neues Konzept überlegen. 20 Prozent der Pädagoginnen und Pädagogen haben gesagt, das tun sie sich nicht mehr an, und ha­ben die Schule verlassen, aber 80 Prozent der Pädagoginnen und Pädagogen haben gesagt: Okay, probieren wir es noch einmal, setzen wir uns hin und überlegen wir uns, wie diese Schule mit dieser Zusammensetzung der Kinder gelingen kann.

Sie haben Unterstützung von der Stadt bekommen – ganz klar! Sie haben dahin ge­hend Unterstützung bekommen, dass sie weitreichend freie Hand in der Unterrichtge­staltung, zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Psychologinnen und Psy­­chologen bekommen haben. Mit diesem Konsortium sind sie hergegangen und haben Schule neu gezeichnet.

Sie haben eine Schule entwickelt, die aus einer Grundschule, also sprich: unserer Volks­schule, aus einer Sekundarstufe I und einer Sekundarstufe II bis zur Matura besteht, und zwar als Gesamtkonzept. Man beginnt also am Schulstandort mit der Volksschule und kann bis zur Matura kommen. Sie haben dem ein pädagogisches Konzept zu­grunde gelegt, das ein Stück weit an das Konzept von Margret Rasfeld angelehnt ist, mit Lernbüros, mit sehr autonomer Gestaltung des Unterrichts in unterschiedlichen Un­terrichtsformen wie Flipped Classroom – das war heute schon Thema –, aber auch an­dere Unterrichtsformen kommen dort zur Anwendung.

Die Sprache, der Sprachkompetenzerwerb stehen im Mittelpunkt. Das ist auch keine Fra­ge, weil es dort viele Kinder und Jugendliche gibt, die Migrationshintergrund haben und die Deutsch nicht als Erstsprache nutzen. Und sie haben gerade in der Sekundarstufe I Wert darauf gelegt, dass auch in Werkstätten gearbeitet werden kann, dass Holz, Me­tall, Stoffe ausprobiert werden können, also in der Schule schlichtweg unterschiedliche Gewerke ausprobiert werden können.

Die Rechnung ist aufgegangen: Mittlerweile machen die Anmeldungen in der Volks­schule von Kindern aus deutschen Familien mehr als 60 Prozent aus. Sie können nicht einmal alle nehmen! Die Schule hat mittlerweile nämlich einen so guten Ruf, dass sie von Anmeldungen von Schülerinnen und Schülern für die Grundschule überrannt wird, aber auch Pädagoginnen und Pädagogen finden es plötzlich superattraktiv, an dieser Schule zu arbeiten. Und die Direktorin kann sich – und das tut sie aus Überzeugung – ihre Pädagoginnen und Pädagogen aussuchen. Sie sagt aus Überzeugung: Ohne das Aussuchen von Pädagoginnen und Pädagogen hätte sie es nie hinbekommen, das Ge­samtkonzept Schule so zu entwickeln. Das ist das ganz klare Credo.

In der Mittelstufe und in der Oberstufe hat sie immer noch 95 bis 97 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund. Ich habe mit diesen Kindern aus der Mittelstufe gesprochen, also Elf- und Zwölfjährige und Maturantinnen und Maturanten: brillantes Deutsch, ganz­tägige Schule. Ich habe eine 15 Jahre alte Schulsprecherin mit brillantem Deutsch ken­nengelernt. Sie ist seit drei Jahren in Deutschland, und ich hätte keinen ausländischen


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