BundesratStenographisches Protokoll864. Sitzung / Seite 37

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10.52.46

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundes­kanzler! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Schwerpunkt in diesem Regierungsprogramm ist das Thema Arbeit. Für uns Grüne – und das hat schon der Herr Bundeskanzler gesagt, wir haben ja schon einiges mitgetragen – gibt es darin vereinzelt Ansätze, die in die richtige Richtung gehen, aber auch einige Punkte, die wir doch sehr skeptisch sehen, zum Beispiel die Arbeitszeitflexibilisierung.

Arbeitszeitflexibilisierung hört sich im ersten Moment nett an. Jeder ist irgendwie gern ein bisschen flexibel, aber es geht de facto um eine Anhebung der Arbeitshöchstzeit von derzeit zehn Stunden auf bis zu zwölf Stunden pro Tag, und das gesetzlich geregelt.

Man muss wissen, dass mit den bereits bestehenden Kollektivverträgen in den Spar­ten, in denen es notwendig ist, die Arbeitshöchstzeit bereits auf bis zu zwölf Stunden festgelegt werden kann. In einigen Berufen ist das bereits Realität, zum Beispiel in den klinischen Berufen. Dort ist es aufgrund der PatientInnensicherheit auch relevant, dass Zwölf-Stunden-Schichten vorgeschrieben sind.

Gesetzlich geregelt heißt aber, dass nicht mehr die Gewerkschaft verhandelt, sondern dass es Norm ist, und mir geht es bei dieser Diskussion nicht um den 26-jährigen BWL-Studenten, der Single ist, gerade von der Uni kommt, den ersten fixen Job bekommen hat, natürlich frei und ungebunden ist und vielleicht gerne bereit ist, 60 bis 70 Stunden zu arbeiten. Um ihn geht es nicht, sondern mir geht es in dieser Diskussion um die Verkäuferin im Supermarkt um die Ecke, um die Friseurin, um die Verkäuferin, die mir am Sonntag immer meine Brötchen verkauft. Um die geht es mir, denn sie müssen dann, weil es gesetzliche Norm ist, zwölf Stunden im Betrieb, am Fließband oder hinter der Theke stehen und arbeiten (Zwischenrufe der Bundesräte Junker und Preineder), auch wegen der von der Wirtschaft immer wieder geforderten längeren Öffnungszeiten – geöffnet bis 20 Uhr oder noch viel länger.

Stellen Sie sich bitte vor, wie das Ganze für die Familien zu managen ist! Stellen Sie sich das bitte vor, mit der Kinderbetreuung auf dem Land! Seien wir froh, dass wir überhaupt schon eine Kinderbetreuungseinrichtung haben, die bis Mittag offen hat, geschweige denn bis zum Nachmittag oder mit flexiblen Öffnungszeiten! (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Auch bei den Schulen mit Nachmittagsbetreuung schaut es auf dem Land nicht besser aus. Das bleibt reine Fiktion.

Ein Beispiel aus meinem Heimatbezirk ist die Gemeinde St. Johann am Walde: Kin­derbetreuung von 7 bis 13 Uhr, Montag bis Freitag, keine Nachmittagsbetreuung für Volksschulkinder, keine Krabbelstube, keine Tagesmütter, keine Tagesväter. (Bundes­rat Mayer: Aber intakte Familienverbände!) Ich könnte einige Gemeinden in Oberöster­reich aufzählen; auch im Bezirk Rohrbach, Herr Vizekanzler, gibt es genug solcher Gemeinden. Ich möchte gerne wissen, Herr Bundeskanzler, was Sie diesen Familien sagen, wenn es um Kinderbetreuung geht und zwölf Stunden am Tag zu arbeiten ist.

Wir brauchen eine Politik, die Frauen und Familien entlastet, anstatt sie zu belasten. Das wäre notwendig. Und bei den Berufen, bei denen es notwendig ist, dass zwölf Stunden gearbeitet wird, ist es jetzt bereits mittels Kollektivverträgen möglich, ohne zwei Jahre Durchrechnungszeitraum, um die Überstunden abzubauen. Man braucht da keinen gesetzlichen Freibrief für andere Berufssparten zu schaffen.

Für mich ist diese Diskussion über die Arbeitszeitflexibilisierung ein Kniefall vor der Wirtschaft, die sich dadurch nur die Auszahlung der 200 Millionen Überstunden im Jahr ersparen möchte, auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Bundesrätin Zwazl: Du! Nein!) Womit wir uns wirklich beschäftigen sollten, ist etwas ganz anderes,


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