9.33.37

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Mi­nister! Liebe Zuseherinnen und Zuseher via Livestream! Es ist leider eine große Chan­ce vergeben worden – und das ist auch unsere Hauptkritik –, da die Ratspräsident­schaft von der österreichischen Bundesregierung nicht genutzt wird, um Vorstöße beim Klimaschutz oder bei einem sozialeren Europa zu machen. Stattdessen dominiert ein wirklich nationalistisch anmutender Populismus (Bundesrat Krusche: Na na!): eine schlan­ke EU statt ein Mehr an und ein besseres Europa, was ja auch generell das Credo die­ser Regierung ist; geringere EU-Beiträge trotz der Brexitfinanzlücke, die sich jetzt auf­tun wird; mangelnde Unterstützung eines EU-Eigenmittelsystems; ein offener EU-Rechts­bruch bei der Indexierung der Familienbeihilfe und vor allem auch keine Fortschritte beim Kampf gegen Steueroasen. – Das wären alles Punkte, wo man sich als österrei­chische Bundesregierung jetzt wirklich stärker einsetzen hätte können.

Wir Grüne sind gegen ein kleineres EU-Budget und für eigene EU-Einnahmen (Bun­desrat Mayer: Geld spielt bei euch nie eine Rolle, ja?), um auch diese ewige Nettozah­lerdebatte endlich zu beenden, zum Beispiel durch eine Kerosinabgabe oder durch ei­ne Finanztransaktionssteuer, damit auch die Finanzwirtschaft einen fairen Beitrag leis­tet. Außerdem braucht es verbindliche Ziele wie 30 Prozent der Investitionen in Sozia­les, 50 Prozent in klimarelevante Projekte und so weiter. Es ist auch eine Streichung der Ausgaben für schädliche Projekte wie Nuklearenergie oder fossile Brennstoffe längst überfällig.

Die Kollegin hat vorhin das Thema Flüchtlinge angesprochen – man will sich aber um die falschen Flüchtlinge kümmern. Während der österreichischen Ratspräsidentschaft fallen wichtige Entscheidungen zur Bekämpfung von Steuerflucht und Schwarzgeld. Die österreichische Bundesregierung ist aber nicht bereit, Großkonzerne und Reiche fairer zu besteuern, und droht lieber mit Streichungen im EU-Budget.

Zu unserer Familienministerin: Um für die Indexierung der Familienbeihilfe zu lobbyie­ren und Kinder zweiter Klasse zu schaffen, hat es extra Brüssel-Ausflüge gegeben. (Bundesrätin Mühlwerth: ... jetzt Kinder zweiter Klasse!) Dabei hat die Kommission be­reits deutlich erklärt, dass diese Pläne einer Familienbeihilfenindexierung nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Es ist unverständlich, dass die Ministerin besonders während der bevorstehenden Ratspräsidentschaft nicht so viel Engagement in den Kampf gegen steigende Armut in Familien in Österreich und EU-weit investiert, denn Neiddebatten wie diese bringen weder Europa noch Österreich weiter.

Im Zusammenhang mit den Austrittsverhandlungen mit Großbritannien, die ja während der Vorsitzführung Österreichs am Höhepunkt sein werden, gibt es irrsinnig viele sinn­volle Dinge, die man umsetzen könnte. Zum Beispiel sollten die frei werdenden briti­schen Sitze im Europäischen Parlament für gemeinsame europäische Listen genutzt werden. Gemeinsame europäische Listen könnten das Kernelement einer gemeinsa­men politischen Öffentlichkeit auf dem Gebiet der Europäischen Union werden.

Zum Abpuffern der Verluste für das EU-Budget – ich habe es vorhin schon angespro­chen – durch den Brexit schlagen wir eine Änderung des kompletten Einnahmensys­tems der EU vor. Es könnten gemeinsame Europasteuern, die eben die ganze EU be­treffen, da, wo sie wirklich Sinn machen, weil sie grenzübergreifend wirken, eingeführt werden – CO2-Abgaben, Kerosinbesteuerung, Finanztransaktionssteuer –, um von der Nettozahlerdebatte wegzukommen und eigene Einnahmen zu kreieren, die Effekte auf die ganze Union haben. Bei der Besteuerung von CO2 und Kerosin können natürlich auch positive Lenkungseffekte für den Klimaschutz erzielt und kann die Basis für Inves­titionen in Richtung eines Green New Deal gelegt werden.

Über die Pflicht dieser Brexitverhandlungen hinaus sollte Österreich eine Initiative zur koordinierten Umsetzung des Klimaabkommens von Paris starten, damit durch seine Umsetzung in den Mitgliedstaaten das Klimaziel von deutlich unter 2 Grad Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau auch tatsächlich erreicht werden kann.

Eine Koordination der EU-Mitgliedstaaten untereinander ist schon erfolgreich abge­schossen worden. Eine Konferenz der Vorsitzenden der Umweltausschüsse der Natio­nalräte aller Mitgliedstaaten, wie wir sie im letzten Jahr vorgeschlagen haben, ist schon im Frühherbst abgelehnt worden. Klimaschutz ist in der Regierung immer ein großes Thema, das man populistisch vor sich herträgt, an der aktuellen Umsetzung mangelt es aber extrem. Im Trioprogramm spricht man sich noch dafür aus, aber die konkreten In­halte sind auch jetzt nirgendwo sichtbar.

Im November 2018 wird die Klimakonferenz in Polen stattfinden, und Österreich hat dabei als Ratsvorsitzender eine wichtige Rolle. Die Klimakonferenz in Polen ist extrem wichtig, denn es ist die nächste Konferenz nach Paris und dort wird es erstmals ein Review der Erreichung der nationalen Zielsetzungen nach dem Paris-Agreement ge­ben. Außerdem wird im Herbst 2018 das sogenannte EU-Winterpaket, also sämtliche EU-Energierichtlinien, final beschlossen – wenn es noch passt. Auch da ist die Bedeutung der österreichischen Ratspräsidentschaft für die EU-Energiepolitik wirklich sehr groß.

Ich habe es vorher schon kurz anklingen lassen, wichtige Punkt sind: offensiv gegen Steuerhinterziehung vorzugehen, gegen Steuerflucht, gegen Steuervermeidung, ambi­tionierte Regelungen anzuleiern, dass da wirklich etwas passiert, was dem Volumen der entgangenen Steuereinnahmen auch gerecht wird; sich im Asylbereich für ein ge­meinsames europäisches Asylrecht einzusetzen – mit dem Recht, auf einer Botschaft um Asyl zu werben – und wenn nicht anders möglich auch weiter auf eine verstärkte Zusammenarbeit in diesem Bereich zu setzen. Auch im Sozialbereich – Kollege Lind­ner hat es schon angesprochen – gibt es für eine Sozialunion in Europa irrsinnig viel, was man machen kann.

Abschließend noch ganz kurz zur Zukunft des Freihandels: Es stehen auch gerade jetzt wieder Ceta und Mercosur im Mittelpunkt der Diskussionen, und es geht darum, sich für eine Steuerung der Zukunft des Freihandels einzusetzen, um unsere Umwelt- und Sozialstandards auf europäischer Ebene zu sichern. Das wären wirklich Inhalte, die wir uns für diese Ratspräsidentschaft extrem gewünscht hätten.

Damit bin ich auch schon am Ende meiner letzten Rede im Bundesrat. Die knapp fünf Jahre im Bundesrat sind irrsinnig schnell vergangen. In fünf Jahren sieht man viele kommen und gehen. In meinem Fall waren es drei Kanzler, vier Nationalratspräsiden­tInnen und sage und schreibe fünf VerkehrsministerInnen in fünf Jahren. Vor allem auch hier im Bundesrat ist ein ständiges Kommen und Gehen, mit jeder Landtagswahl und auch dazwischen. Von den 61 MandatarInnen, die heute hier sitzen, sind genau 24 vor fünf Jahren hier gewesen, und zwar bei meiner ersten Plenarsitzung im Mai 2013. Für ein bisschen ein Ankommen habe ich auch selbst gesorgt: Ich bin die erste Bun­desrätin, die in ihrer aktiven Zeit im Bundesrat ein Kind bekommen hat.

Ich war sehr gerne im Bundesrat. In den Themenbereichen, die ich hier betreut habe, nämlich Umwelt, Landwirtschaft, Verkehr, werde ich auch weiterhin aktiv sein. Was mir nicht abgehen wird, ist, ständig erklären zu müssen, was der Bundesrat ist, und mir die Kritik über den Bundesrat anzuhören. In vielen Fällen ist die Kritik am Bundesrat ein­fach berechtigt, der Bundesrat gehört reformiert. Vor allem gehört die Länderkammer schon wesentlich früher in den Gesetzwerdungsprozess mit eingebunden, um eben wirk­lich aktiv aus Ländersicht Bundesgesetze mitgestalten zu können. Ich würde mir irrsin­nig wünschen, dass der Bundesrat das von sich aus weiter forciert und vorantreibt.

Ich möchte mich bei euch allen für die gute Zusammenarbeit bedanken, für das irrsin­nig nette Arbeitsklima und für die fraktionsübergreifenden Freundschaften, die entstan­den sind. Herr Bundesratspräsident Reinhard Todt, vielen Dank für die wunderbare Zu­sammenarbeit. Ich bedanke mich bei den Mitgliedern der Präsidiale, vor allem auch bei meinen Fraktionsobleute-Kollegen, bei Inge Posch-Gruska, Edgar Mayer und Monika Mühlwerth, und vor allem auch bei meiner wunderbaren Fraktion, bei Heidi Reiter, Ewa Dziedzic und David Stögmüller – ihr wart super, seid super, herzlichen Dank. (Allge­meiner Beifall.)

9.42

Präsident Reinhard Todt: Frau Bundesrätin Schreyer, danke für deine Worte. Ich darf dir im Namen aller alles Gute auf deinem weiteren Lebensweg wünschen und hoffe, der Abschied fällt dir nicht allzu schwer. Ich weiß, er ist schwer.

Für eine erste Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Mag. Blü­mel. Auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Herr Bundesmi­nister.