11.21.39

Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt könnten wir wahr­scheinlich noch ein paar Minuten über die Steuer- und Abgabenquote weiterdiskutie­ren, oder wir könnten auch die Frage stellen, für wen denn die Abgabenquote zu hoch ist: Ist sie für die Millionenerben, für die Großspender und Großkonzerne, für die Haus­besitzer zu hoch, oder ist sie für die einfachen Menschen, die sich mit echter Arbeit tagtäglich ihr Geld verdienen, zu hoch?

Wir könnten auch über Schuldenanhäufungen reden, wir könnten darüber reden, wie viel an neuen Schulden sich in Niederösterreich, der Steiermark oder in Oberösterreich in der Vergangenheit angehäuft hat. (Rufe bei der FPÖ: Wien! Wien! – Bundesrat Längle: Wien vergessen wir?!) Wir könnten auch darüber reden, wer die letzten 17 Jahre den Finanzminister gestellt hat und an hauptverantwortlicher Stelle gesessen ist.

Ich will aber diese Voodoorhetorik von diesem Paradigmenwechsel und diesen schwarz-blauen Marketingnebel einmal ein bissel auf die Seite schieben und mich mit den Grundlagen für dieses Budget beschäftigen. Das Wifo hat nach der letzten National­ratswahl eine Budgetprognose vorgelegt und ist davon ausgegangen, dass das struk­turelle Defizit – also bereinigt um die Einmaleffekte; das ist eigentlich die echte Ver­gleichsgröße, die man heranziehen muss – 2018 bei 0,3 Prozent liegen wird und dass dieses strukturelle Defizit 2019 null erreichen wird. Wenige Wochen danach hat das Wifo diese Prognose noch einmal verbessert. Das ist die Ausgangssituation, die Ihnen in Wahrheit in den Schoß gefallen ist.

Was sehen wir jetzt, wenn Sie uns das aktuelle Budget vorlegen? – Sie gehen gar nicht von einem strukturellen Defizit von 0,3 Prozent aus, sondern von einem in der Höhe von 0,5 Prozent, das heißt, von einem schlechteren Wert, als ihn das Wifo pro­gnostiziert hat. Dasselbe gilt für 2019: Hier rechnen Sie mit einem schlechteren Wert in Höhe von 0,5 Prozent.

Wenn wir ehrliche, harte Vergleiche wollen, dann müssen wir uns eben dieses struk­turelle Defizit anschauen, ohne Konjunktureffekte und ohne Einmaleffekte. Ganz offen gesagt: Ohne die 800 Millionen Euro von den Bayern 2019 wären Sie ganz schön är­mer dran.

Das ist eigentlich unglaublich, denn würden Sie als schwarz-blaue Bundesregierung die 2017 unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen einfach fortführen, dann würde sich das Nulldefizit ganz einfach von sel­ber erfüllen. (Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ. – Bundesrat Längle: Ja, genau! Wer es glaubt! – Bundesrat Krusche: Der Witz des Tages! – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Sie hätten also die nächsten fünf Jahre einfach nichts tun sollen, dann hätten die Langzeitarbeitslosen über 50 mehr Perspektiven und Arbeitschancen, die Kinderbetreuung und die Ganztagsschulen würden rascher und breiter ausgebaut wer­den und die Integration würde besser gelingen.

Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich kann diese Voodoorhetorik vom Sparen im System nicht mehr hören, denn das Gegenteil ist ja der Fall! (Bundesrat Samt: Es ist klar, dass ihr Sparen nicht ..., das hat bei euch noch nie funktioniert!) Schauen wir uns die Bud­getbegleitgesetze gleich einmal an, und seien Sie so ehrlich und sagen Sie auch, dass Sie nicht im System sparen, denn Ihr eigenes Budget und die Budgetbegleitgesetze beweisen das eindrucksvoll!

Sie sind großzügig zu sich selbst, Sie blähen das System zusätzlich mit den General­sekretären oder, ich möchte eigentlich sagen, mit den Politkommissaren in den Minis­terbüros auf. Was Sie jetzt machen, ist Folgendes: Sie legitimieren im Nachhinein, rückwirkend mit Jänner, die Bestellung der Generalsekretäre ohne Ausschreibung, die direkt dem Bundesminister unterstellt und mit Weisungsbefugnis gegenüber den Sek­tionschefs ausgestattet sind. Im Ausschuss wurde uns das mit dem Vertrauensver­hältnis zwischen Generalsekretär und Minister begründet. Das ist ja eigentlich beson­ders spannend, denn: Haben Sie zu Ihren Sektionschefs kein Vertrauen, oder wie soll man das verstehen? (Bundesrat Sperl: Zu den roten nicht!)

Sie sind großzügig zu sich selbst und blähen das System zusätzlich mit einem ge­schickten Körberlgeld auf: für Kanzler Kurz 50 Millionen Euro und 50 Dienstposten zu­sätzlich, für Vizekanzler Strache 15 Millionen Euro Körberlgeld, 40 Dienstposten zu­sätzlich, für Außenministerin Kneissl 30 Millionen Euro – Zitat: „zur freien Verfügung“ –, für Verteidigungsminister Kunasek 60 Millionen Euro, mit der wahnwitzigen Bezeich­nung „Feel free“-Vereinbarung, heißt also de facto: Mach damit, was du willst! – Da ist gar nichts mit Sparen im System, da wird ganz kräftig in den Steuertopf gegriffen! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Längle: Ihr habt ja nur Baustellen hinterlassen, in jedem Bereich, eine Baustelle nach der anderen!)

Wenn man sagt, das Budget ist die in Zahlen gegossene Politik, dann zeigen Sie ganz deutlich, welche Politik Sie wollen: Sie wollen mehrere 100 Millionen Euro Spielgeld, aber Sie wollen nur 10 Millionen Euro für die Gleichstellungspolitik, Sie kürzen die För­derungen für Start-ups um 50 Millionen Euro, Sie streichen mit einer unglaublichen Härte und Konsequenz genau jene Programme zusammen, die Arbeitslosigkeit beseiti­gen. (Bundesrat Samt: Haben wir schon besprochen, Herr Kollege! ... System funktio­niert nicht!)

Wenn Sie davon sprechen, dass mit der Aktion 20 000 keine dauerhaften Arbeitsplätze geschaffen würden und diese de facto sinnlos sei, dann sagen Sie das jenen Men­schen ins Gesicht, die dadurch eine Perspektive und neue Jobs bekommen haben! Sa­gen Sie das denen offen so ins Gesicht, und Sie werden die entsprechenden Reaktio­nen bekommen! (Bundesrat Samt: Mit öffentlichen Geldern Kaufkraft kaufen funktio­niert nicht, Herr Kollege! Ihr habt keine Ahnung von Wirtschaft, das ist euer Problem!)

Ich habe mich gerade diese Woche mit einer betroffenen Frau aus meiner Region ge­troffen, die 15 Jahre lang als Alleinerzieherin nur unregelmäßig hat arbeiten können, lange zu Hause war, nach einer Scheidung ein Haus zu erhalten hat und sehr, sehr froh war, bei einem Sozialverein einen Job bekommen zu haben. (Bundesrat Krusche: Da gehört sie ja zu den Reichen! Wenn sie ein Haus hat, ist sie ja reich!)

Schön versteckt haben Sie im Budgetbegleitgesetz eine weitere Unglaublichkeit: Sie wollten einen Deckel genau für jene Strafen einführen, die Unternehmen zu zahlen ha­ben, wenn sie ihre MitarbeiterInnen nicht ordnungsgemäß anmelden. Diese haben bis­her ordentlich – und berechtigt! – Strafe gezahlt. Wenn man 100 Personen illegal be­schäftigt oder nicht angemeldet hatte, dann hat man auch hundertmal Strafe gezahlt. Was wollten Sie? Wie oft sollte man in so einem Fall Strafe zahlen? – Einmal 855 Eu­ro! Billiger kann man aus meiner Sicht Sozialbetrug nicht bekommen, und es ist gut so, dass Sie da jetzt zurückrudern und diesem großen Druck auch nachgeben müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Zwei Punkte noch zum Schluss: Es ist zwar nicht direkt Teil des Budgetbegleitgeset­zes, aber beim Budget trotzdem wichtig zu erwähnen, nämlich das Thema Pflegere­gress. Wir haben den Pflegeregress hier im Parlament, auch mit Beschluss des Bun­desrates, abgeschafft, und das aus einem guten Grund: Viele Menschen, die sich im Leben etwas aufgebaut haben, waren davon betroffen, denn wenn sie zu einem Pfle­gefall geworden sind, dann hat man ihnen alles wegnehmen können.

Wir als SPÖ haben immer gesagt, dass man das ausreichend finanzieren muss, wenn man das Ganze ernst nimmt. Wir haben einen Vorschlag gemacht, das mit einer Erb­schaftssteuer für die Millionenerben zu machen, aber ÖVP und FPÖ haben sich schüt­zend vor die MillionärInnen gestellt und keine andere Finanzierung vorgeschlagen. (Ruf bei der FPÖ: Bei Steuererhöhungen seid ihr Weltmeister, das wissen wir eh!)

Jetzt schreiben Sie 100 Millionen Euro ins Budget, obwohl sogar August Wöginger im Nationalrat von 400 oder 500 Millionen Euro Kosten gesprochen hat. Also was ist jetzt? – Sie lassen die Gemeinden im Stich, Sie lassen die Betroffenen im Stich.

Ich unterstelle Ihnen aber etwas ganz anderes, nicht etwa, dass Sie mit den 100 Mil­lionen Euro bewusst falsche Zahlen ins Budget schreiben, sondern, wenn Sie nur 100 Millionen Euro ins Budget schreiben, dann gibt es zwei Möglichkeiten, wie die 500 Millionen Euro zusammenkommen sollen: Entweder Sie verhandeln, dass doch die Länder und Gemeinden zahlen müssen – da wünsche ich Ihnen viel Spaß mit den ei­genen Landeshauptleuten und dem Gemeindebund! – oder die Betroffenen zahlen wie­der auf Umwegen und werden zur Kassa gebeten, und das kann es wirklich nicht sein.

Ganz zum Schluss noch: Dass die neue Bundesregierung offensichtlich nicht nur Spe­zialist für Voodoorhetorik ist, sondern auch für Fake News, hat sie in den letzten Tagen gezeigt. Meine Kollegin Doris Hahn hat es schon angesprochen: Was da seit gestern oder vorgestern in Bezug auf das Sozialversicherungssystem, die Sozialversicherungs­träger passiert, ist wirklich unglaublich. Da wird mit tatsachenwidrigen Behauptungen das Sozialversicherungssystem auf das Heftigste diffamiert. Gestern rückte sogar der eigene ÖVP-Chef des Hauptverbandes, Biach, in der „ZIB 2“ aus, um diese Fake News richtigzustellen. Ich fordere daher Sie von den Koalitionsparteien, aber auch Sie von der Bundesregierung auf, diese tatsachenwidrigen Behauptungen sofort zu unterlassen und zu einer sachpolitischen Arbeit im Interesse der Versicherten zurückzukehren, denn das, was Sie mit Ihren Öffentlichkeitsarbeitern hier machen, ist maximal Schüler­unionsniveau! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen ohne Fraktionszugehörigkeit.)

11.29

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Bun­desrätin Sonja Zwazl. Ich erteile es ihr.