10.12

Bundesrätin Sandra Kern (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Ich verstehe natürlich, dass ein Projekt, das ein halbes Jahrhundert lang diskutiert wird und jetzt, 2019, in die Umsetzung geht, keine große Begeisterung bei der Opposition hervorruft. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Ich hoffe aber, dass den Versicherten dieses Projekt zugutekommt (Ruf bei der SPÖ: Nein!), davon gehen wir aus.

Ich darf einige Dinge klarstellen, die hier heute angesprochen wurden; man muss sich manchmal fragen, ob man wirklich vom selben Tagesordnungspunkt spricht.

Woher kommt diese Reform oder seit wann wird diese Reform schon gefordert? (Ruf bei der SPÖ: Von der Wirtschaft!) – Nicht nur von der Wirtschaft! Seit einem halben Jahrhundert wird sie diskutiert und wird darüber geredet, aber diese Regierung ist mit dem Willen zur Umsetzung angetreten.

Wenn uns immer vorgeworfen wird, ein funktionierendes System zu zerschlagen, dann darf ich schon ein paar Experten zitieren. (Bundesrat Stögmüller: ... hören würden!) Die WHO hat bereits 1996 analysiert – ich darf zitieren –: „Die Existenz so vieler Träger ist nicht geeignet, die Entwicklung eines rationellen, aufeinander abgestimmten und reibungslos funktionierenden Systems zu fördern.“

Ich darf kurz daran erinnern, wer diese Reform in den letzten 30 Jahren gefordert hat: Von der Opposition wurde sie gefordert, diverse Bundesregierungen unter Klima und Vranitzky haben sich diese Reform vorgenommen. (Oh-Rufe bei der FPÖ. – Ruf bei der FPÖ: Hört, hört!) In fünf Regierungsprogrammen war diese Reform auf der Agenda, und bisher ist nichts passiert, weil sich immer die Bewahrer und die Reform­verweigerer durchgesetzt haben und diese Reform daran gescheitert ist. Auch die jetzige Kritik - - (Bundesrat Weber: Das stimmt ja gar nicht!) – Stimmt ja gar nicht, jaja! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Weber.)

Auch den Rechnungshof, der das jetzt kritisch sieht, darf ich zitieren: „Eine Neu­organisation des Systems der Sozialversicherungsträger muss dazu dienen, struktu­relle Defizite zu überwinden, Transparenz und Effizienz zu erhöhen sowie die Steue­rung und damit einhergehend die Qualität der Leistungen für alle Versicherten zu verbessern.“ (Ruf bei der SPÖ: Das passiert nicht!) Diese Bundesregierung setzt die Sozialversicherungsreform jetzt endlich um. (Bundesrat Weber: Ja, aber falsch! – Zwischenruf bei der FPÖ.)

Zusätzlich zu den Expertenmeinungen möchte ich ein paar Beispiele aus der Praxis erwähnen, die auch schon genannt worden sind, auf die ich aber noch einmal hinweisen darf: Es ist ein kompliziertes System, es gibt viele Doppelgleisigkeiten – ich glaube, darüber brauchen wir doch nicht zu diskutieren – und es ist ein ungerechtes System, weil in der Gebietskrankenkasse die Leistungen für gleiche Beiträge in den Bundesländern unterschiedlich sind – wir reden ja nicht davon, wie es bei den Bauern und bei den Selbstständigen ausschaut, sondern wie es innerhalb der Gebietskranken­kasse ausschaut.

Erstens: Bei manchen Kassen braucht man für ein MRT den Chefarzt, bei manchen nicht. Bei manchen Kassen braucht man für Heilbehelfe eine Verordnung vom Fach­arzt, bei manchen nicht – wir reden immer von Leistungen innerhalb der Gebietskran­kenkasse. Bei manchen Versicherungen bekommt man Leistungen einmal im Jahr wiederkehrend, bei manchen Versicherungen bekommt man sie nur einmal im Leben, Beispiel Schuheinlagen. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Das neue System hat drei Ziele (Bundesrätin Grossmann: Zerschlagung der Selbst­verwaltung!): klare Strukturen, einfache Prozesse und mehr für die Versicherten in diesem Land. (Bundesrätin Grossmann: Na sicher nicht!) Das Ziel dieser Sozialver­sicherungsreform ist eine Strukturreform, daran darf man auch immer wieder erinnern. Es ist keine Gesundheitsreform.

Was machen wir genau? – Das ist schon kurz angesprochen worden, ich darf noch einmal darauf hinweisen: Wir machen aus neun Gebietskrankenkassen eine Öster­reichisches Gesundheitskasse, die für alle unselbstständig Erwerbstätigen zuständig sein wird. Es wird gleiche Leistungen für gleiche Beiträge in allen Bundesländern geben; und ja natürlich, die Beitragseinhebung, die Budget- und die Personalhoheit liegen bei der ÖGK, denn sonst braucht man das ja nicht zu fusionieren, aber die Regionen erhalten autonome Budgets für regionale Herausforderungen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.) Mit diesen regionalen Budgets soll sichergestellt werden, dass in ländlichen, dünn besiedelten Regionen die ärztliche Versorgung gewährleistet wird.

Zum Zweiten: Der Selbstständigenträger setzt sich zusammen aus der Sozial­versiche­rungsanstalt der Selbstständigen und jener der Bauern. Die Beamtenversicherung und die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau werden zur Versicherungs­anstalt für den öffentlichen Dienst zusammengelegt. Die Pensionsversicherungsanstalt bleibt bestehen, die Unfallversicherungsanstalt bleibt bestehen, und damit machen wir aus 21 Trägern fünf.

Was bedeutet das? – Eine deutliche Verschlankung von 21 auf fünf Träger bedeutet eine Verschlankung von 21 auf fünf Generaldirektoren, von 2 000 auf 500 Funktionäre, von 90 auf 50 Gremien. (Bundesrätin Grimling: ... aber das ist ja nicht wahr!) – Ja, das machen wir, um eine moderne und effiziente Verwaltung im Gesundheitssystem zu ermöglichen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Zwei Dinge waren uns bei dieser Reform immer besonders wichtig, und das möchte ich auch noch einmal klarstellen, weil es immer wieder diskutiert wird. Ich habe gute Kontakte zur Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, und was dort den Mitar­beite­rinnen und Mitarbeitern erzählt wird, ist wirklich haarsträubend. Ich möchte es noch einmal festhalten: Es gibt eine Jobgarantie, es wird zu keinen fusionsbedingten Kündigungen der Mitarbeiter in den Kassen kommen. (Zwischenrufe der Bundesrätin­nen Grimling und Schumann.) Ja, es kommt zu einer Nichtnachbesetzung von Mitar­beiterinnen und Mitarbeitern, die in Pension gehen (Bundesrätin Grimling: Aha!), wenn es aber Prozesse nicht mehr neunmal gibt, sondern nur einmal, ist es halt auch selbstverständlich, dass man weniger Mitarbeiter in diesem Bereich brauchen wird.

Der zweite Bereich, der immer angesprochen wird, der so viel kritisiert wird und der natürlich für uns Arbeitnehmer ein wichtiger Bereich ist, ist folgender: Der Vorsitz wechselt jedes halbe Jahr zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern, und betreffend diese große Drohung, dass die Wirtschaft uns arme Arbeitnehmervertreter niederstimmt, möchte ich schon darauf hinweisen, dass man in den Gremien eine Zweidrittelmehrheit braucht und dass ein Überstimmen der Arbeitnehmeranliegen seitens der Wirtschaft nicht möglich ist. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Bundesrätin Schumann: Die Wirtschaft bestimmt! – Zwischenruf der Bundesrätin Dziedzic.)

So, aber jetzt ganz konkret: In welchen Bereichen wird denn eigentlich eingespart oder wo ist eine Vereinfachung möglich? – Im Einkauf geht es um eine Vereinfachung der Prozesse, das heißt, man muss die Prozesse nicht mehr neunmal durchführen, son­dern nur mehr einmal – in der ÖGK. Es gibt eine gemeinsame IT und eine effizientere Kooperation der Spitäler und des niedergelassenen Bereichs – etwas, was wir immer alle gemeinsam gefordert haben. Investiert wird in eine Leistungsharmonisierung, investiert wird in mehr Kassenärzte, investiert wird in die Stärkung des nieder­gelas­senen Bereichs und in die Landarztstipendien.

Weil es heute schon Thema war – und auch wenn es Karl Bader schon richtiggestellt hat, möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen –: Natürlich stellen wir mit dieser Reform auch sicher, dass die Beiträge dort bleiben, wo sie eingehoben werden, nämlich bei den Versicherten in den Bundesländern und in den Landesstellen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Bundesrätin Grimling: Das schauen wir uns an!) – Das können wir uns voll gerne anschauen!

Ich glaube, das Wichtige bei dieser Reform ist – und ich freue mich, dass heute so viele junge Menschen da sind und zuhören –, Rosa Ecker hat es auch schon angesprochen: Erklärt doch einmal jemandem, warum es 21 Träger gibt! Macht doch einmal jemandem verständlich, warum der Versicherte im Burgenland einen anderen Wert hat als der Versicherte in Wien! (Bundesrat Stögmüller: Das versteht eh keiner! – Bundesrätin Grimling: Warum habt’s damit gelebt ...!) Also ich glaube, es geht schon auch darum, dass wir den Menschen verständlich machen müssen, warum wir uns dieser Form widmen, warum es so wichtig ist, dass wir reduzieren, und warum es uns ganz stark um die Patientinnen und Patienten geht.

Habe ich (auf das rot blinkende Lämpchen am Rednerpult blickend) jetzt 10 Minuten geredet? – Das ist ganz ungewöhnlich! (Zwischenruf bei der FPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Red noch ein paar Minuten!)

Abschließend darf ich zusammenfassen: Gleiche Leistung für gleiche Beiträge muss in Österreich möglich sein! Sozialversicherungseinrichtungen werden beibehalten, Kran­ken­hausstandorte werden nicht geschlossen, Leistungen werden nicht gekürzt, die Jobgarantie ist gegeben, und es wird keine Kündigungen aufgrund der Fusion geben.

Ich darf mich ganz herzlich bei den Menschen bedanken, die sich für diese Reform eingesetzt haben: bei unserer Bundesministerin, aber auch bei unserem Sozial­sprecher August Wöginger. (Oh-Rufe bei der SPÖ.) – Auch bei unserem Sozial­sprecher August Wöginger! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.) – Danke.

Uns ist es wichtig, dass wir ein gerechtes und zukunftsfittes System der Sozialver­sicherungen in Österreich schaffen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Auch im Ausschuss wurde der Umgang mit den Rücklagen diskutiert, und daher darf ich folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Bader, Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Leis­tungssicherungsrücklagen der Gebietskrankenkassen“

eingebracht im Zuge der Debatte zu Tagesordnungspunkt 2, Sozialversicherungs-Organisationsgesetz, in der Fassung des Ausschussberichtes 413 der Beilagen, in der Bundesratssitzung am 20.12.2018

Dem Ministerratsvortrag zur Sozialversicherungsorganisation der Zukunft vom 16. Mai 2018 ist zu entnehmen: Die nachhaltige Leistungsharmonisierung ist als integraler Bestandteil der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen sicherzustellen. Die neu zu errichtende Österreichische Gesundheitskasse mit ihrer solidarischen und öster­reichischen Versichertengemeinschaft hat in der Übergangsphase die bisher in den Ländern durch die GKKs finanzierten Leistungen weiterhin sicherzustellen.

Die unterfertigten Bundesräte stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz wird ersucht, im Rahmen der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen dafür Sorge zu tragen, dass in der Eröffnungsbilanz der Österreichischen Gesundheitskasse die zum 31. Dezember 2019 bestehenden Leistungssicherungsrücklagen der Gebietskranken­kas­sen nach Bundesländern aufgeteilt dargestellt werden.

Darüber hinaus soll ab 2021 in den Weisungen nach § 444 (5) ASVG die Möglichkeit er­öffnet werden, dass für den Fall einer erfolgswirksamen Dotierung der Rücklagen die Österreichische Gesundheitskasse im Folgejahr im selben Ausmaß die zum 31. De­zem­ber 2019 bestehenden ‚alten‘ Leistungssicherungsrücklagen teilweise auflösen darf.

Die dadurch frei gewordenen Mittel sind zugunsten des Teils der Versicherten­gemein­schaft, die die Rücklagen aufgebaut hat, insbesondere für die Umsetzung der Leis­tungs­harmonisierung, für Gesundheitsreformprojekte im Rahmen der Zielsteuerung Gesundheit, die Stärkung und Sicherung der Primärversorgung im ländlichen Raum und zur Steuerung nach 441f (5) ASVG zu verwenden, wobei darauf zu achten ist, dass dadurch die nachhaltig ausgeglichene Gebarung der Österreichischen Gesund­heitskasse nicht gefährdet wird. Die Geschäftsordnung der Österreichischen Gesund­heitskasse hat vorzusehen, dass die Landesstellenausschüsse hierzu Vorschläge erstatten können.“

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(Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

10.24

Vizepräsident Ewald Lindinger: Der von den Bundesräten Bader, Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Leistungs­siche­rungsrücklagen der Gebietskrankenkassen“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung. (Bundesrat Stögmüller: Wird der ausgeteilt oder nicht?)

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Gerhard Leitner. Ich erteile dieses.