14.14

Bundesrätin Andrea Kahofer (SPÖ, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Frau Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörer! Sozialhilfe-Grundsatzgesetz: Zum Glück heißt es wenigstens nicht mehr Mindestsicherung, denn das Existenz­mini­mum sichert es ja definitiv nicht ab. Das Einzige, was es absichert, ist, dass Arme arm bleiben, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, möglichst wenig Chancen bekommen, dieser zu entkommen. (Bundesrätin Mühlwerth: Ohne dass sie sich anstrengen müssen? Wozu auch?) Es sichert, dass einzelne Gruppen an den Rand und ins Abseits gedrängt werden. Keine Mindeststandards, nur Höchstgrenzen – mit diesem Gesetz wird nicht die Armut bekämpft. Das wird auch gar nicht vorgegeben, denn ganz bewusst fehlt ja die Formulierung, dass die Vermeidung von Armut die Zielsetzung ist. Die Abschaffung der Mindestsicherung ist nicht nur eine Änderung in der Wortwahl, sie stellt vor allem auch einen Paradigmenwechsel dar, eine Abwendung von den grund­legenden Prinzipien: Armutsbekämpfung, Existenzsicherung und Teilhabe aller Men­schen. Es ist eine klare Abwendung von der Menschlichkeit in der Sozialpolitik. (Beifall bei der SPÖ.)

Warum das? Etwa, weil dadurch die nötigen finanziellen Mittel weniger werden? – Nein! Es wird ja gar nicht bestritten, dass das neue System teurer ist. Es geht nicht um Einsparung. Es muss also einen anderen Grund haben. Ist der Grund vielleicht, dass sich Arbeit lohnen muss? Bekommt jetzt jemand, der arbeitet, auch nur eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer, auch nur einen Cent mehr? Oder bekommt jetzt eine oder einer der Aufstocker – 70 Prozent der Mindestsicherung fließen in den Fonds der Aufstocker – mehr für ihre/seine Grundleistung, für ihre/seine Arbeit? – Arbeit muss sich lohnen ist in diesem Zusammenhang einfach nur ein leerer Slogan und wird vorgeschoben.

Es ist in der Debatte deutlich geworden, dass für den einen oder anderen der Haupt­grund für das Gesetz ist, dass Zuwanderer benachteiligt werden sollen. Sie nehmen dabei ganz bewusst in Kauf, dass 50 Prozent – das sind die Österreicher – dafür mit über die Klinge springen. Grundsätzlich ist es schon menschenverachtend, dass ihr die Zuwanderer strafen wollt (Bundesrat Samt: „Über die Klinge springen lassen“ ist eine menschenverachtende, blutrünstige Formulierung!), noch menschenverachtender ist, dass ihr die eigenen Leute mit über die Klinge springen lässt. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Samt: „Über die Klinge springen“ ist ganz schön menschenverachtend!)

Eines passiert mit diesem Gesetz aber ganz sicher: Die Wertehaltung in Österreich wird neu definiert. Das wollt ihr so! Ihr wollt den Menschen nahelegen, dass Familien mit mehr als zwei Kindern – teilweise sogar mit mehr als einem Kind – nicht erstrebenswert sind. (Bundesrat Rösch: So ein Blödsinn!) Ich hoffe nicht, dass auch nur einer hier so hochmütig ist, anzunehmen, dass es nicht auch ihm passieren kann, dass ihn einmal ein Schicksalsschlag trifft. Dann ist es hier in Österreich nicht ratsam, mehr als ein Kind zu haben, geschweige denn drei, denn für das dritte Kind bekommt man dann schon nur noch 44 Euro pro Monat. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Damit wird eine Gesellschaft geschaffen, in der Kinder keine Wertigkeit mehr haben, und das angesichts der demografischen Entwicklung in diesem Land!

Vorhin haben wir über die Jugend gesprochen, darüber, wie wichtig, wie wertvoll Kinder sind. In einem Karl-May-Film hätte ein Indianer wahrscheinlich gesagt: Weißer Mann oder weiße Frau spricht mit gespaltener Zunge. (Bundesrat Spanring: Ja, die SPÖ!) Partnerschaften haben keine Wertigkeit; wenn es dir schlecht geht, ist es besser, du bist allein.

Mit diesem Gesetz wird versucht, der Gesellschaft zu zeigen, dass Solidarität nicht wichtig ist, dass Hilfsbereitschaft keinen Wert hat (Bundesrätin Hahn: Nicht gewünscht wird!), keinen Mehrwert, weder für den Betroffenen noch für den Gebenden. Wir haben vorhin gehört, dass es bei Sachspenden in den Ländern eine Kannbestimmung gibt, es ist aber auch klar, dass Sachspenden von Dritten bei der Sozialhilfe in Abzug gebracht werden. Gibt man einer bedürftigen Familie einen gebrauchten Kühlschrank, ein Ein­richtungsstück, so wird das in Abzug gebracht. (Bundesrat Rösch: Der Heizkosten­zuschuss nicht!) Wir lehren die Menschen, dass Solidarität keinen Wert hat. Es wurde sogar festgehalten, dass die Länder sicherstellen müssen, dass Sachzuwendungen gemeldet werden. Wenn das nicht der Fall ist, muss es abschreckende Maßnahmen geben. Schon bei dieser Bezeichnung bekomme ich Gänsehaut. (Bundesrat Samt: „Über die Klinge springen“, das geht bei Ihnen aber schon!) – Das soll für eine Gesellschaft gesund sein?! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Spanring: Kampfrhetorik geht nur bei der SPÖ!)

Positiv ist die Mussbestimmung für den Bonus bei erwachsenen Menschen mit Behinderung in Höhe von 18 Prozent, also rund 155 Euro. Dennoch kann es auch da passieren, und es wird wohl immer wieder der Fall sein, dass behinderte Erwachsene, die zum Beispiel in Gemeinschaft mit einem Elternteil leben, verlieren. Es gibt dazu ein Beispiel:

Eine Pensionistin mit 1 167 Euro Einkommen im Monat – da ist alles dazu hinein­gerechnet – hat ihre erwachsene behinderte Tochter bei sich. Da wird eine Bemes­sungsgrundlage von etwas über 600 Euro berechnet. Der verbleibende Betrag darüber muss angerechnet werden. Das verliert die erwachsene behinderte Tochter, und dieser bleibt dann genau nur der Bonus, genau die 155 Euro. Zusätzlich darf sie dann – das ist auch gut so – in einer Integrationswerkstätte arbeiten und bekommt dort Taschen­geld; vielleicht noch weniger als 1,50 Euro pro Stunde. – Wird das dann auch noch in Abzug gebracht?

Zusätzlich wurde in der 15a‑Vereinbarung festgehalten, dass innerhalb von drei Monaten eine Entscheidung getroffen werden muss, ein Bescheid ergehen muss, ob die Mindestsicherung gewährt wird oder nicht. Das wird jetzt nicht mehr festgehalten. Damit kommt die allgemeine Regelung zur Anwendung, und es kann sechs Monate dauern. – Warten Sie einmal in einer Notsituation sechs Monate darauf, bis Sie überhaupt erfahren, ob Sie etwas bekommen werden, geschweige denn dann tat­sächlich etwas erhalten! Bis dahin kann es längst zu spät sein. (Bundesrat Rösch: Na, spät ist es schon!)

Der Boden wird umgeackert, er wird vorbereitet. Er wird darauf vorbereitet, dass die Saat aufgehen kann, die die gesellschaftliche Spaltung in diesem Land vorantreibt. Da gibt es dann nur Verlierer, nicht nur finanziell, vor allem auch menschlich.

Zusätzlich bestehen große Bedenken im Hinblick auf die Verfassungskonformität. Gemäß Art. 12 Abs. 1 B-VG ist die Gesetzgebung über Grundsätze Bundessache. Der Bundesgesetzgeber muss sich aber eben auch auf Grundsätze beschränken. Einzel­regelungen sind unzulässig; es darf nicht derart konkretisiert sein. – Die Regierungs­vorlage beschränkt sich nicht auf den Erlass von Grundsatzbestimmungen. Anspruchs­voraussetzungen und Leistungsumfang sind starr vorgegeben. Da bleibt kein Spiel­raum! Es gibt Höchstgrenzen, es gibt das Verbot von zusätzlichen Leistungen.

Mit ein bisschen Empathie, aber auch mit politischem Verständnis, was da vorbereitet wird, was das für die Zukunft der Menschen und für so viele Kinder in diesem Land bringen wird, kann man nicht zustimmen, gerade – wieder, wie schon vorher – auch als Vertreter in der Länderkammer nicht, wenn Kompetenz und Verantwortung auf die Länder abgeschoben werden, das aber schon mit ganz konkreten engen Grenzen ver­sehen wird.

Meine Kollegin Doris Hahn hat zuvor mit den Worten: Wer schafft die Armut?, ge­schlossen. (Bundesrat Rösch: Habt ihr das zu zweit vorbereitet, oder was?) Ich will ergänzen: Da wird eine Armutsfalle geschaffen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Weber: Wir halten uns alle an das!)

14.26

Präsident Ingo Appé: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. Ich erteile es ihm.