Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 35. Sitzung / Seite 161

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Die SPÖ hat die Dringlichkeit der Anfrage bezweifelt. Herr Kollege Schieder! Wenn Sie die Zeitungen gelesen und die Äußerungen unseres Bundespräsidenten und auch des Außenministers mitverfolgt haben – lassen wir halt einmal den Kanzler weg, denn das schmerzt ein wenig und tut Ihnen vermutlich weh, nehmen Sie also diese beiden Personen –, dann, muß ich sagen, ist das sehr wohl ein klarer Beweis für die Dringlichkeit der Debatte. Denn es wurde einfach am Rande einer Tagung diese Frage aufgerollt. Es wurde gesagt: Neutralität ist passé, diese Rolle haben wir jetzt 50 Jahre lang gespielt, jetzt machen wir etwas anderes. – Ich wundere mich nur, wieso Sie und der Bundeskanzler zu dem Schluß kommen, das sei nicht auf der Tagesordnung und es sei daher auch nicht notwendig, darüber zu diskutieren beziehungsweise unserem Antrag Folge zu leisten.

Sie sehen tatenlos zu – diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen –, wie die Neutralität scheibchenweise demontiert wird, aber nichts anderes, wirklich Neues an Stelle dessen tritt. (Abg. Schieder: Glauben Sie, daß der Effekt ist, daß morgen in der Zeitung steht: Parlament schützt Neutralität!, oder glauben Sie nicht, daß es heißen wird: Wieder Debatte über Neutralität?) Das war eine ganze Zwischenrede. Ich meine, wenn Sie heute mit uns gemeinsam diesem Antrag Folge leisten würden, was ja noch nicht die Mehrheit wäre, wäre es immerhin ein sehr klares und deutliches Signal an eine Mehrheit in der Bevölkerung, die nicht ohne weiteres die Neutralität aufgeben möchte. – Aber so tragen Sie auch weiter zur Verunsicherung bei, die zweifelsohne stattfindet, die eben jeden Tag ein bißchen mehr, bei jeder Gelegenheit ein bißchen mehr weiter verbreitet wird.

Was passiert dann mit dieser Unsicherheit? Was resultiert aus dieser Unsicherheit? – Genau das, was Sie nämlich vermutlich auch nicht wollen, wie ich Ihren Worten entnommen habe, nämlich eine Tendenz hin zum Bestehenden. Die Reaktion nach Unsicherheit ist immer eine Rückwendung, eine Tendenz zum Bestehenden, eine Tendenz zu bestehenden Militärblöcken wie der NATO und der Westeuropäischen Union. Das ist die einzige Konsequenz.

Kollege Mock – und darauf möchte ich auch noch gerne antworten – sagt, es gehe nicht darum, wovon wir träumen. Das mag schon richtig sein, daß es nicht darum geht, wovon wir träumen. Aber man kann ruhig daran anschließen.

Versetzen Sie sich noch einmal in die Ausgangslage der neuen Situation: 1989 und 1990 gab es einen Traum in ganz Europa, das war der Traum von einem gemeinsamen Haus, von einem europäischen Haus, sehr stark getragen damals auch von Gorbatschow, mitgetragen von nahezu allen, auch westeuropäischen Staatsmännern und Politikern.

Die KSZE hat 1990 eine Charta beschlossen, nämlich die "Charta für eine neues Europa". Der Traum von diesem neuen Europa war zweifellos ein Traum einer völlig neuen Friedensarchitektur, sozusagen einer Aufhebung dieser früheren logischen Ordnung eines West- und Ostbündnisses, eines Militärbündnisses auf der einen wie der anderen Seite Europas.

Vor gar nicht allzu langer Zeit hat der ungarische OSZE-Delegierte mit Bedauern festgestellt, daß diese Chance verpaßt wurde, auch von einem Land wie Ungarn verpaßt wurde, indem man nicht die Geduld hatte, zu versuchen, diesen Traum auch nur ansatzweise in reale Politik umzusetzen. Es ist vielmehr das Gegenteil geschehen, und zwar in der Ungeduld, daß auch frühere osteuropäische Länder stärker in die NATO gedrängt haben.

Wenn Sie alle heute hier – die Liberalen, die Freiheitlichen und die ÖVP – so tun, als würde gar keine andere Möglichkeit bestehen als die der NATO und der Westeuropäischen Union (Abg. Scheibner: Oh ja, die eigene Armee so hochrüsten, daß wir es allein können wie die Schweiz!) , als ob das die Legitimation darstellen würde, nur so könnte eine friedliche Ordnung in Europa hergestellt werden, so möchte ich Sie auch noch einmal zurückführen in die Jahre 1989/90.

Damals – versuchen Sie, sich daran zu erinnern – war die Legitimität der NATO nahezu auf dem Nullpunkt, sie war nicht Thema des politischen Diskurses. Damals ging es sehr stark um die Frage der KSZE, um eine Änderung der Strukturen der KSZE, der heutigen OSZE.


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