Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 64. Sitzung / Seite 103

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sowie nach einer doch sehr breiten öffentlichen Debatte zum Thema Armut heute, im Februar 1997, meiner Ansicht nach nicht mehr möglich ist, zu sagen, das Risiko der Armutsgefährdung sei in den letzten Jahren gesunken. Das kann man beim besten Willen nicht behaupten.

Meine Damen und Herren! Das Risiko der Armutsgefährdung ist gestiegen. Worüber wir uns zu unterhalten haben, ist höchstens das Ausmaß, in dem es gestiegen ist, wie viele Personengruppen es tatsächlich umfaßt und wie wir Armut und Armutsgefährdung definieren wollen. Für den Fall, daß nach all den Beispielen, die in den letzten Wochen und Monaten zu diesem Thema zutage getreten sind, noch immer behauptet werden sollte, das Risiko sei gesunken, bringe ich Ihnen hier noch einmal exemplarisch zwei Fälle zur Kenntnis, an denen demonstriert werden kann, daß dieses Risiko nicht gesunken, sondern gestiegen ist.

Der Fall eins betrifft einen Arbeiter in Tirol, der nach einem schweren Verkehrsunfall langzeitarbeitslos gemeldet war und Ende 1995 in ein Beschäftigungsprojekt einstieg, ein sozialökonomisches Projekt, das ein Jahr dauerte und mit dem er wieder für eine Beschäftigung mobilisiert werden sollte. – Übrigens ist das – Klammer auf – erfolgreich – Klammer zu – gelungen: Er hat eine Stelle in Aussicht, aber er hat sie noch nicht. Er hat sie für Mitte dieses Jahres in Aussicht. Das einjährige Beschäftigungsprojekt ist abgelaufen, er ist wieder arbeitslos – bis zu dem Zeitpunkt, der noch nicht eingetreten ist und zu dem er die Arbeit wird aufnehmen können – und sucht um Arbeitslosenunterstützung an. Und nun treffen ihn die Bestimmungen, die im Rahmen des Sparpakets festgelegt worden sind, wonach die Grundlage für die Berechnung des Arbeitslosengeldes das Vorjahr ist beziehungsweise auch das Vorvorjahr sein kann, wenn der Antrag innerhalb des ersten Halbjahres gestellt wird. (Abg. Dr. Feurstein: Das kann auch ein Vorteil sein!)

Herr Abgeordneter Feurstein! Wissen Sie, was das im konkreten Fall heißt? – Dieser Arbeiter erhält jetzt nicht mehr ein Arbeitslosengeld in der Höhe, in der er es vorher erhalten hat – dieses ist nicht näher genannt, ich nehme aber an, daß es zwischen 7 000 und 12 000 S lag, wie es dem Durchschnitt entspricht –, sondern er erhält nunmehr ein Arbeitslosengeld von 3 600 S, weil das Arbeitslosengeld jetzt aufgrund des Arbeitslosengeldbezuges, also seines Einkommens im Jahr 1995, berechnet wird und davon 60 Prozent ausmacht.

Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, in Vertretung des Herrn Bundeskanzlers! Unter diesen Umständen wollen Sie behaupten, daß das Risiko gesunken sei?! Tatsächlich ist es gestiegen!

Den Fall zwei trage ich Ihnen vor, weil Sie vermutlich argumentieren werden, daß der Arbeiter die Möglichkeit habe, Sozialhilfe zu beantragen. Der Fall zwei betrifft eine Frau in Wien mit einem Notstandshilfebezug von 12 000 S. Diesen hatte sie. Das war der Maximalbezug, und das sage ich insbesondere an die Adresse der Freiheitlichen, weil sie manchmal den Eindruck erwecken, man könnte in Österreich in der Arbeitslosigkeit wie im Schlaraffenland leben. Diese Frau bezog 12 000 S, hat ein Kind zu versorgen und ist zu 40 Prozent behindert. Das heißt, das Ausmaß ihrer Behinderung beeinträchtigt mit Sicherheit ihre Chancen, jemals wieder Beschäftigung zu finden. Insoweit können wir uns einig sein, nehme ich an.

Wegen des Sparpakets ist ihr Notstandshilfebezug von ungefähr 12 000 S auf 7 800 S gesunken. Diese Frau hat uns – ich nehme an, auch den anderen Parteien – einen Brief geschrieben, in dem sie fragt: Was soll ich machen? Womit soll ich überleben? Ich kann nicht mit diesen 7 800 S meine Miete bezahlen, ein Kind versorgen und gleichzeitig auch noch Arbeit suchen. Darum geht es ihr auch.

Wir haben ihr recht hilflos zurückgeschrieben: Versuchen Sie es im Rahmen der Sozialhilfe wenigstens mit der Mietzinsbeihilfe der Gemeinde Wien. Die Frau sagte – ich habe mit ihr telefoniert –, daß sie die Mietzinsbeihilfe selbstverständlich schon beantragt hätte. Sie hatte vorher 1 200 S erhalten und hat, bedingt durch die Kürzung Notstandshilfe um 4 000 S, aufgrund eines Neuantrags um 100 S mehr Mietzinsbeihilfe erhalten.


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