Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 64. Sitzung / Seite 110

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bekommen und so zwangsläufig für diejenigen Menschen in unserem Land, die sie wirklich brauchen, weniger übrigbleibt.

Die Notstandshilfe ist wirklich nur eine Notstandshilfe mit 80 Prozent des Arbeitslosenbezugs. Eine Ausgleichszulage der Pension mit 7 887 S ist wirklich die allgemeine allerunterste Grenze, mit der jemand in diesem Land noch leben kann. Und die Sozialhilfe, die ja noch bundesländerweise organisiert ist, liegt weit darunter. Wenn jemand in St. Gilgen am Wolfgangsee zu Hause ist, bekommt er als alleinstehende Person eine Sozialhilfe von 4 785 S, hat er aber das Glück, in Oberösterreich in St. Wolfgang zu wohnen, bekommt er 6 180 S. Da liegen 1 400 S dazwischen! Es macht also Sinn, wenn das Liberale Forum am 29. Jänner einen Selbständigen Antrag eingebracht hat – er liegt zurzeit im Sozialausschuß, und ich bitte um dessen Behandlung –, in dem wir fordern, ein einheitliches Bundessozialhilfegesetz zu schaffen, um diese eklatante Ungerechtigkeit rund um ein Seeufer zu beseitigen.

Viel schmerzhafter ist aber die gesellschaftliche Kohäsion, die zerfällt: Die Armut existiert, und wir sind gar nicht davon betroffen, nämlich betroffen im emotionalen Bereich. Denken wir wirklich daran, was wir tun, wenn wir hier Gesetze beschließen, wenn wir neue Rahmenbedingungen setzen? Denken wir dann auch wirklich an die armen Menschen in diesem Land, die nicht schreien, die keine Lobby haben, die sich nicht zu Wort melden, die in keiner Kammer organisiert sind?

Meine Damen und Herren! Es macht mich sehr betroffen, daß wir darüber zu wenig nachdenken. Ich zitiere den von mir sehr verehrten Professor Weidenholzer aus Oberösterreich, der am 10. Jänner im "Standard" wörtlich schrieb – ich zitiere –: "Unverzichtbar wird dabei eine Neubestimmung der Rolle des Individuums sein. Sozialpolitik wird sich nicht mehr damit begnügen dürfen, einen flächendeckenden Versorgungsstaat zu offerieren, weil dies weder wünschenswert noch auf Dauer finanzierbar ist, sondern muß den selbständigen und den selbstverantwortlichen Bürger als Ausgangspunkt ihrer Bestrebungen akzeptieren. Bürgerrechte und Konsumentensouveränität haben auch für soziale Einrichtungen zu gelten."

Das sind keine neoliberalen Thesen – das stimmt sehr weit mit dem überein, was wir Liberale sagen, wenn wir meinen, der Wohlfahrtsstaat als solcher ist unfinanzierbar geworden, er ist letztlich in Konkurs gegangen, er ist zahlungsunfähig geworden.

Eigenverantwortung einzufordern und das durch einen Sozialstaat abzusichern, muß der Weg sein, und das bedeutet eine ganz klare Staffelung von Transfers nach Bedürftigkeit und in jedem Fall sozialer Schwierigkeiten, die ein Mensch hat, diesem zu sagen: Du hast ein Problem, und wir werden alles tun, um dir zu helfen, daß du dein Problem lösen kannst. Aber du mußt eines wissen: Wenn es dir nicht gelingen sollte, werden wir dich auf einem menschenwürdigen, unserer Gesellschaft entsprechenden Niveau auffangen!

Wer nicht sicher ist, kann nicht frei sein. Die Voraussetzung für Freiheit ist ein gewisses Mindestmaß an sozialer Sicherheit. Ich bitte Sie, so auch die Bestrebungen des Liberalen Forums im Hinblick auf eine Grundsicherung zu verstehen.

Die Arbeitswelt wird sich weiter aufsplittern, ob wir das wollen oder nicht: Es wird auf der einen Seite ein kleiner Teil von Mitarbeitern mit festen Dienstverhältnissen übrigbleiben, es wird in Zukunft viel mehr Selbständige geben, in ganz, ganz kleinen Firmen, die infolge des In-and-out-Sourcing für die großen Firmen Dienstleistungen erbringen, und es wird auf der anderen Seite einen größer werdenden Teil an Menschen geben, die in projektbezogener Weise Arbeit finden werden.

Wenn wir wissen, daß sich der Arbeitsmarkt in diese Richtung entwickelt und wir es nicht bremsen können, sind wir dazu verpflichtet, eine gesellschaftliche Grundsicherung einzuführen, die natürlich bis zu einem gewissen Mindesteinkommen voll zu bezahlen ist – immer im Hinblick auf die Selbstveranlagung eines mündigen Bürgers in all seinen Einkommensarten – und die natürlich einen oberen Interventionspunkt haben wird, ab dem sie nicht mehr gewährt wird, und dazwischen eine Abschmelzregelung. Aber eines ist sicher: Für die neue Arbeitswelt (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen), die kommt, ob wir sie wollen oder nicht, wird es einer


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