Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 74. Sitzung / Seite 176

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Die Vorlage dieses Ministerratsberichtes wurde sogar dem Innenministerium gegenüber verweigert, und es ist eine Besonderheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß man mittlerweile in dieser Republik mit Vertuschungsversuchen so weit ist, daß nicht einmal ein Ministerium für die Erstellung eines eigenen Berichtes die notwendigen Akten erhält. Das wird allerdings auch seine Gründe haben!

Dieser Bericht ist in Summe, wie gesagt, höchst lückenhaft. 21 wesentliche Aktenstücke dazu fehlen. Diese 21 Aktenstücke kennen wir zum Teil, jedoch nicht alle. Wir werden natürlich Teile davon, die uns bisher zugegangen sind, in den nächsten Tagen und Wochen vorlegen, weil die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu wissen, wie bei einem gezielten Rechtsbruch in Österreich die politischen Fäden tatsächlich gezogen wurden.

Es handelte sich hiebei um einen Rechtsbruch, der eine gewisse außenpolitische Tradition hatte und nach wie vor hat, daß nämlich Terroristen, die in Deutschland zur Fahndung ausgeschrieben sind, gezielt von Österreich aus entkommen können. Sie brauchen ja nur den Artikel in der morgigen Ausgabe des "Standard" und die Kritik der deutschen Behörden dazu zu lesen. Bei einem solchen Rechtsbruch kann man sich nicht auf die Beamtenschaft ausreden, wie das nun von den politischen Verantwortungsträgern zu tun versucht wird. Wenn man nur ein Minimum an Anstand hätte, müßte man vielmehr hier zum Pult treten und sagen: Aus diesem und jenem Grund – und das mögen vielleicht sogar Gründe sein, über die man diskutieren kann – hat es die organisierte Fluchthilfe für die Kurden-Mörder von Wien gegeben.

Eine derartige Erklärung blieb jedoch aus. Es werden lediglich der Vertuschungsversuch und die Verzögerungstaktik fortgesetzt, indem man nun den Bericht den Untersuchungsrichtern und der Staatsanwaltschaft übermittelt, damit sie untersuchen mögen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die strafrechtliche Relevanz dieser Angelegenheit ist allerdings bis ins letzte Detail untersucht. Offen bleibt die Frage, wer in diesem Fall politisch die Fäden gezogen hat, wer für das politische Grundkonzept und dafür verantwortlich ist, daß im wesentlich infolge des Abtausches und der Gespräche zwischen den beiden damaligen Generalsekretären im Außenministerium und im Innenministerium die Kurden-Mörder aus Wien fliehen konnten.

Die Art und Weise, wie dieser Täuschungsbericht und wie dieser neuerliche Verzögerungs-, Ablenkungs- und Verschleppungsversuch von den Medien kommentiert wird, ist so deutlich wie schon lange nicht, wie schon seit Jahren in dieser Republik nicht mehr. Kommentar in den "Oberösterreichischen Nachrichten": "Verschleppung". Kommentar im "Kurier": "Nur ein Untersuchungsbericht kann diese neuen Fragen klären." Der Kommentar in der "Presse", in welcher man Ihnen gegenüber in dieser Causa in den letzten Wochen nicht allzu kritisch eingestellt war, ist der kritischste überhaupt. Es wird festgestellt, daß die Berichte eine "Pannenserie" schildern, und dies sei sehr traurig – ich zitiere wörtlich –, "zumindest, wenn man den nun vorgelegten Berichten glauben dürfte. Man darf es aber nicht."

Kommentatoren der Qualitätszeitungen in dieser Republik sagen also: Man darf Regierungsberichten nicht mehr trauen. Es werden Halbwahrheit verkündet, es wird die Unwahrheit verkündet, diese Bundesregierung verstrickt sich in ihrer Verteidigungs- und Fluchtlinie in einem Netz von Widersprüchen, Halb- und Unwahrheiten. Es wird direkt dargestellt und unterstellt, daß Teile dieser Bundesregierung bewußt die Unwahrheit sprechen, und bewußt die Unwahrheit sprechen bedeutet lügen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten des Liberalen Forums.)

Das ist ein schwerer Vorwurf! Und was macht die Bundesregierung in dieser Situation, vor allem innerhalb der Österreichischen Volkspartei in der Person des Vizekanzlers dieser Republik, der hauptverantwortlich ist für diese Fortsetzung der Vertuschung? – Sie schüttelt sich ab und versucht, zur Tagesordnung überzugehen!

Das ist bei einem politisch organisierten Rechtsbruch unzulässig, meine sehr verehrten Damen und Herren! In jedem anderen Rechtsstaat Europas würde diese Causa längst, zumindest seit sechs Wochen, mittels eines Untersuchungsausschusses untersucht werden.


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