Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 77. Sitzung / Seite 115

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Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Mag. Dr. Heide Schmidt, Maria Schaffenrath und Genossen an die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten betreffend jahrelange Versäumnisse in der Bildungspolitik und die Kostenexplosion im Schulbereich (2569/J)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Verhandlung steht nun die dringliche Behandlung einer schriftlichen Anfrage. Diese ist inzwischen verteilt worden; eine Verlesung durch einen Schriftführer erübrigt sich daher.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

"In einer modernen Industriegesellschaft kommt der Qualität des Schul- und Bildungssystems seit jeher ein hoher Stellenwert zu. Ein demokratischer Zugang zu Bildungsinstitutionen, ein hohes Bildungsniveau der Bevölkerung, qualifizierte FacharbeiterInnen und AkademikerInnen waren und sind die Grundpfeiler einer konkurrenzfähigen Wirtschaftsstruktur ebenso wie einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Die Entwicklungen der letzten Jahre haben die Bedeutung von Bildung und Ausbildung für den wirtschaftlichen Wohlstand eines Staates noch um vieles erhöht: In Zeiten eines durch europäische Integration und globalen Standortwettkampf verschärften Wettbewerbes, in Zeiten eines beschleunigten technologischen Wandels, in der die Halbwertszeit von Fachwissen beständig sinkt, in Zeiten dynamischer wirtschaftlicher Veränderungsprozesse wird Bildung zu einem Schlüsselfaktor im Wettbewerb der Staaten untereinander.

Die meisten Länder der Europäischen Union und viele Staaten außerhalb Europas haben diese neuen Herausforderungen an die Qualität und Leistungsfähigkeit von Schule und Bildung seit Beginn der 90er Jahre zum Anlaß genommen, ihre nationalen Bildungssysteme neu zu ordnen, zu modernisieren und in ihrer Effizienz zu steigern. Trotz aller Unterschiede in den einzelnen Reformansätzen lassen sich auf bildungspolitischer Ebene einige europaweite Trends feststellen:

Die Neuverteilung der pädagogischen Macht: Es gibt in vielen europäischen Ländern einen Trend zur Verlagerung der finanziellen, curricularen und pädagogischen Kompetenzen auf die Ebene der einzelnen Schulen. Die Stichworte dazu lauten: Dezentralisierung, Deregulierung und Autonomisierung.

Die Gemeinsame Schule – Gesamtschule: Die große Mehrheit der europäischen Länder hat die Sekundarschulen bis zum Ende der Schulpflicht in Gesamtschulen mit innerer Differenzierung umgewandelt. Lediglich die deutschsprachigen Länder behalten nach wie vor die frühe schulische Auslese für getrennte Schultypen auf der Sekundarstufe I bei.

Kerncurricula und individuelle Profile: In den meisten europäischen Ländern hat in den letzten Jahren insofern eine ,Revolution’ stattgefunden, als das Lehren und Lernen von traditionellen Routinen und überkommenen Ritualen, d.h. von ,Verschulung’ befreit wurde. Statt Jahrgangsklassen: Arbeit in Gruppen, statt Stundeneinteilung: Lernphasen, statt Fachgrenzen: Projektunterricht, etc.

Die Lehrpläne für Sekundarschulen sind zumeist nicht mehr staatlich verordnete Pakete von 12 bis 14 Pflichtfächern, sondern Kombinationen von verbindlichen Kernbereichen und Wahlfächern, mit denen ein individuelles Qualifikationsprofil gebildet werden kann.

Österreich ist bei allen diesen Trends jedoch die Ausnahme: Das österreichische Schulsystem hinkt diesen Entwicklungen nicht nur weit hinterher, die österreichische Bildungspolitik ist seit Jahrzehnten festgefahren und durch verschiedene Faktoren blockiert:

Der Selbstfesselungstrick einer europaweit einzigartigen 2/3-Gesetzgebung bei wesentlichen Bildungsmaterien verhindert seit Jahrzehnten eine sinnvolle Weiterentwicklung der Schulgesetzgebung. Auch die seit 1995 vorhandene 2/3-Mehrheit der Regierungskoalition konnte den


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