Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 106. Sitzung / Seite 121

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Was ist denn passiert, Herr Bundeskanzler? – Die SPÖ wäre mit uns bei einem Beschluß im Hauptausschuß mitgegangen, den Wirtschaftsminister Farnleitner zu binden, im EU-Ministerrat gegen die EU-Patentierungsrichtlinie zu stimmen. Viele Kollegen der SPÖ haben mir immer wieder gesagt: Wir würden gerne mit euch mitstimmen, aber – leider, leider! – die ÖVP läßt uns nicht. Koalitionstreue geht vor! So hat die ÖVP eine vernünftige Positionierung Österreichs im Ministerrat verhindert.

Deshalb werden Sie ein bißchen unglaubwürdig, Herr Bundeskanzler, auch wenn Sie uns heute wieder gesagt haben, daß Sie in vielen Punkten mit den Forderungen übereinstimmen, daß Sie diesbezüglich etwas erreichen wollen. Ich bin mit Ihren Antworten, die Sie uns betreffend den Bereich der Gentechnik gegeben haben, über weite Bereiche recht zufrieden, nur muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich vertraue nicht wirklich darauf, daß das in den Ausschüssen bei der konkreten Umsetzung durch ein entsprechendes Abstimmungsverhalten spürbar und sichtbar wird. (Beifall bei den Grünen.)

Ich konnte es bisher in den Ausschüssen nicht feststellen. Ganz im Gegenteil: Wir haben gleichzeitig einen Gesetzentwurf der Frau Ministerin Prammer zur Begutachtung vorgelegt bekommen, und ich habe auch den Verdacht, den meine Kollegin Frau Petrovic hier schon formuliert hat: Es scheint da von seiten der Sozialdemokraten so etwas wie eine gute PR zu laufen. Das funktioniert ja recht gut.

Sie, Herr Bundeskanzler, haben ja jetzt Ihr einjähriges Kanzlerjubiläum gefeiert, und es wurde Ihnen quer durch alle Medien zugestanden, daß Sie sich eigentlich sehr gut verkaufen. Ja, Sie demonstrieren mehr Volksnähe, mit dem mir etwas unangenehmen Nebeneffekt, daß Sie meinem Geschmack nach zu sehr dem Boulevard nachlaufen. Wie dem auch sei, Sie demonstrieren mehr Volksnähe. Aber in Ihren Handlungen fehlt mir diese Volksnähe schon, und im Abstimmungsverhalten hier im Haus fehlt sie mir ganz besonders. Aber vielleicht haben Sie als SPÖ-Chef zu wenig Einfluß auf Ihre Mandatarinnen und Mandatare. Hier ist plötzlich sehr viel vom freien Mandat die Rede. (Abg. Reitsamer: Na geh!) Wenn dem nicht so ist, Frau Kollegin Reitsamer, dann würde ich mich freuen, wenn sich die Worte des Bundeskanzlers in irgendeiner Form tatsächlich auf unsere Arbeit in all den Ausschüssen auswirkten, wo wir überall die Mehrheit hätten, wo aber die ÖVP leider bisher sehr erfolgreich all die progressiveren, fortschrittlichen Maßnahmen blockiert hat.

Herr Bundeskanzler, wir sind heute, im Jahre 1998, in der Situation, daß wir im Bereich der Gentechnik auf dem gleichen Diskussionsstand sind wie 1992. Wir haben bei der Debatte in der Gentechnik-Enquete-Kommission den Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion und auch der ÖVP-Fraktion immer wieder gesagt, daß es bei einer Risikotechnologie wie der Gentechnologie, wo sehr viele Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung vorhanden sind, nicht möglich sein wird, die Kritiker auszublenden, sondern daß es, gerade wenn man mündige Bürger haben und eine fortschrittliche Politik machen will, notwendig ist, die Widerstände, die Ängste ernst zu nehmen und die Kritiker in Entscheidungsprozesse einzubinden.

Das Gentechnikgesetz war genau die gegensätzliche Antwort: Kritiker raus, kritische Experten raus! Und wir haben heute, 1998, eine absolute Pattstellung. Nichts geht mehr! Jetzt haben Sie die Möglichkeit, entweder endlich all diese Anliegen, die von so vielen Menschen in drei unterschiedlichen Volksbegehren unterzeichnet wurden, ernst zu nehmen und in entsprechende Gesetzesänderungen umzuformulieren, oder zuzulassen, daß wir tatsächlich eine absolute Pattsituation haben, wo nichts mehr geht, wo es nur mehr – zum Teil auch irrationale – Widerstände auf allen Seiten gibt, wobei sicherlich auch nicht das passiert, was sich die Genindustrie oder auch andere Lobbies, die sich bei der ÖVP wiederfinden, vorstellen.

Die ÖVP muß sich wirklich überlegen, wie sie es verantworten will, daß sie derzeit in vier aktuellen Bereichen – im Bereich der Gentechnik, im Bereich der Frauenpolitik, im Bereich des Tierschutzes, aber auch im Bereich des Besitzes von Waffen – alles blockiert. Nichts scheint Sie von der ÖVP zu überzeugen, kein rationales Argument. Sie glauben, hier eine Minderheit, die bei Ihnen aber offenbar stark vertreten ist, repräsentieren zu müssen.


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