Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 166. Sitzung / 38

auf die Verdeutlichung der Wichtigkeit der Menschenrechtsstandards, um die sich der Europarat besonders zu kümmern hat, strikt an die Aufnahmekriterien halten sollte.

Man hat diesbezüglich in der letzten Zeit bei einigen Ländern den Weg gewählt, von der Prämisse der festgelegten Standards abzuweichen. Man hat aus politisch-diplomatischen Gründen einer Erweiterung zugestimmt und damit den Werte-Standard bedauerlicherweise verwässert.

Man kann nun argumentieren, daß mit Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention jeder Bürger und jede Bürgerin das Recht auf eine Individualbeschwerde auch in diesen Ländern erreicht beziehungsweise gewonnen hat und damit auch in diesen Ländern ein großer Fortschritt in Richtung demokratischer Entwicklung gesetzt worden ist, man kann auch argumentieren, daß das Monitoring-System die nachträgliche Erfüllung der Anforderungen überprüfen kann, aber, meine Damen und Herren, Hohes Haus, die Praxis hat gezeigt, daß manche Staaten Jahre nach ihrem Beitritt die notwendigen Reformen nicht durchgeführt haben. Zu Sanktionen ist man jedoch nicht bereit.

Ohne geeignete Mittel kann diese Vorgangsweise nicht funktionieren, womit der Grundkonsens, was Demokratie, was Rechtsstaatlichkeit und was Menschenrechte eigentlich bedeuten, doch untergraben wird. Ich möchte dafür einige Beispiele bringen, und ich appelliere an die Kollegen und Kolleginnen des Europarates, in dieser Richtung initiativ zu werden.

So hat beispielsweise die Ukraine die Todesstrafe weiter vollstrecken lassen. In Rußland ist die Reform der Geheimdienste ausständig, und die Praktiken im Strafvollzug haben sich dort weiter verschlechtert. Kroatien hat in Sachen der Minderheiten kaum etwas unternommen, und auch die Pressefreiheit wurde dort bislang nicht verwirklicht.

Zu erwähnen ist auch die totale Verwässerung des Kommissionsberichtes über die Situation in der Türkei. Es hat gerade das Plenum des Europarates den Rohbericht, der doch etwas schärfer ausgefallen ist, bedauerlicherweise verwässert. Und das ist nicht im Geiste des Europarates. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Meine Damen und Herren! Wenn die Aufgabe der Sicherung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten immer stärker hinter die politischen Rücksichten zurücktritt, dann – und das muß man hier feststellen – trifft dies den Europarat ins Mark, dann wird seine Glaubwürdigkeit und schlußendlich auch seine Aktionsfähigkeit und Durchsetzungsmöglichkeit in Frage gestellt.

Die Sorge, daß der Ausschluß eines Landes dieses isoliert und einer weiteren Gefahr der Destabilisierung preisgibt, ist gerechtfertigt, aber sich selbst den Boden unter den Füßen wegzuschaufeln, bedeutet doch eine Gefährdung der Institution selbst. Das sollten wir Parlamentarier bei unserer Arbeit im Europarat beachten.

Meine Damen und Herren! Ich würde mir wünschen, daß der Europarat gerade in der gegenwärtigen Situation, in der wir einem ungeheuren Flüchtlingselend in Europa gegenüberstehen, deutliche Worte an die einzelnen Regierungen richtet.

Ich meine, daß es auch notwendig ist, eine kritische Bestandsaufnahme des Europarates anläßlich seines 50. Geburtstages vorzunehmen. Diese kritische Bestandsaufnahme ist notwendig, um sich in der Folge im Rahmen einer Weiterentwicklung des Europarates den geänderten Aufgaben in einem geänderten Europa entsprechend stellen zu können.

Ich bedauere es, daß, obwohl ursprünglich für das Jubiläumsjahr geplant war, entsprechende Reformvorschläge auszuarbeiten, letztendlich lediglich ein Appell für eine bessere Zusammenarbeit mit der OSZE und mit der Europäischen Union herausgekommen ist.

Wie wichtig der Europarat in Zukunft auch für Staaten mit hochentwickelten Demokratien und Rechtsordnungen ist, zeigt sich auch an der Vielzahl der Beschwerden, die an die Kommission und an den Gerichtshof gegangen sind.


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