Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 169. Sitzung / 64

Vertriebene und 300 000 Tote klagen an! Er schreibt gerade ein weiteres Kapitel in diesem bedauerlichen Bestseller, "Das Schwarzbuch des Kommunismus": Vertreibungen, Ermordungen von Unbequemen, Vertreibung einer Minderheit. Das darf am Ende des 20. Jahrhunderts einfach nicht toleriert werden! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

So gesehen, ist die Außenpolitik tatsächlich ein Schlüsselressort. Das ist eine der spannendsten Tätigkeiten überhaupt, weil sie eine Breite hat, die mit den Urängsten, Urwünschen und Hoffnungen der Menschen zu tun hat: mit Krieg und mit Frieden. Europa ist heute eine Frage von Krieg und Frieden. Deswegen ist die Außenpolitik auch so interessant, weil sie uns in Wien – da sind wir eben im Zentrum der Geographie der Region – eine Chance gibt, wie sie wenige andere Länder haben. Es ist ja nicht wahr, daß wir nicht ununterbrochen – auch jetzt schon – für die Zeit danach planen!

Am Sonntag war Carl Bildt in Wien. Ich habe mit ihm allein ohne Presse und ohne Öffentlichkeit den ganzen Abend gemeinsam zugebracht, nur in der Planung dessen, was man tun kann und wie die Dinge laufen können. Wir haben den gemäßigten Präsidenten der Albaner, Rugova, den "Gandhi des Balkans", beim Mittagessen bewußt zum informellen, vertraulichen Gespräch mit den EU-Außenministern zusammengebracht.

Es war ein gespenstisches Gespräch mit einem Mann, der wochenlang der Gefangene und die Geisel von Milošević gewesen war. In Priština haben sie in der Früh die ganze Familie, elf Leute an der Zahl, in einen Raum hineingepfercht und draußen 50 Bewaffnete postiert, die ununterbrochen, in unrhythmischen Abständen, Schüsse abgegeben haben. Immer wieder haben sie angeklopft, auch in der Nacht, und gesagt: Wir haben Sie gerade vor einem Terrorüberfall der UÇK gerettet. – Er redet öffentlich nicht gern über diese Fragen. Er sagt uns heute, daß Priština eine Geisterstadt ist. Dort gibt es fast keine Albaner mehr. Sie haben ihn genauso wie alle anderen vertrieben. Stadtviertel für Stadtviertel wurde in Priština gesäubert. 15 000 lebten in seinem Stadtviertel. Um 4 Uhr früh haben sie ihn aufgeweckt, alle anderen vertrieben und ihn unter Hausarrest gestellt. Das ist die Wirklichkeit!

Wenn heute Djukanović als Hochverräter dargestellt wird, wenn Djindjić, der Oppositionelle, nach Podgorica, nach Montenegro fliehen mußte und gestern auf sein Parteihauptquartier ein Bombenanschlag verübt wurde, dann sind das Realitäten. Da hilft, bitte, kein Waffenstillstand ohne jede Bedingung! Der hilft einem einzigen: Slobodan Milošević. Und das kann nicht unser Interesse sein! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wir hatten vorgestern abend ein langes Gespräch mit Igor Iwanow im Kreis der 15 Außenminister der Union. Ich hatte nachher die große Freude und die Chance, daß ich mit ihm ganz allein eineinhalb Stunden reden konnte. Mein Eindruck ist: Die Russen wollen eine friedliche Lösung, sie wollen eine politische Lösung. Sie tun sich ungeheuer schwer im eigenen Kreis – Duma und Stimmung in der Öffentlichkeit –, und sie tun sich extrem schwer mit Belgrad, weil genau jene Punkte und auch die Prinzipien, auf die sich Rußland jetzt mit den Europäern und mit den Amerikanern geeinigt hat, von Belgrad derzeit nicht akzeptiert werden.

Was mir Hoffnung gibt, ist, daß sie miteinander reden. Was mir Hoffnung gibt, ist, daß – wenig bekannt und jenseits der Öffentlichkeit – die Amerikaner und die Russen Gott sei Dank schon jetzt intensivst miteinander darüber reden, wie nachher eine militärische Präsenz – mit welcher Zusammensetzung, mit welcher Flächenkomposition – aussehen könnte. Das gibt Hoffnung, und ich finde das auch absolut in Ordnung. Wir sollten daher alles tun, um die Russen an Bord zu halten und ihnen die Chance zu geben, ihre Rolle entsprechend darzustellen. Ich sage auch ganz offen: Wir sollten rechtzeitig daran denken, Signale auszusenden, daß nicht nach einem solchen Frieden Milošević möglicherweise wieder Zeit gewinnt, um irgendwo die nächste Lunte anzuzünden.

Warum nicht beispielsweise – so wie in Dayton, wo der serbische Präsident, das war damals Milošević, verhandelt und unterschrieben hat – bewußt auch diesmal nur mit dem serbischen Präsidenten – das ist diesmal Milutinović – und mit dem anderen Republikspräsidenten, Dju


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