Herr Bundeskanzler! Wo waren Sie, als aus der Richtung freiheitlicher Spitzenfunktionäre in Richtung Ihres Innenministers Strasser – jetzt nicht mehr da – der Vorwurf des "Judas" in der Bundesregierung erhoben wurde?
Herr Bundeskanzler! Wo waren Sie, als Herr Stadler in einem unglaublichen Parforceritt quer durch das Recht gefordert hat: Böhmdorfer, Staatsanwälte abberufen, sofort, zack, zack? Wo waren Sie, Herr Bundeskanzler, mit einer Stellungnahme?
Herr Bundeskanzler! Wo waren Sie, als Frau Riess-Passer die Einstellung des Verfahrens gefordert hat? (Abg. Dr. Partik-Pablé: Das ist ja nichts Rechtswidriges, Herr Abgeordneter! Nichts Rechtswidriges! – Abg. Edlinger: Aber politisch problematisch!)
Der Herr Bundeskanzler zieht sich auf seinen bequemen Standpunkt zurück und sagt: Das ist Meinungsfreiheit, jeder darf in dieser Republik sagen, was er will; das ist Meinungsfreiheit, die man auch einem Regierungsmitglied nicht nehmen darf. Auch einem Regierungsmitglied – ganz egal, ob es Herr Böhmdorfer ist, der zufällig zur selben Zeit gemeint hat, die Ermittlungen dürfen nicht so lange dauern, und der vorher schon gemeint hatte, gegen Abgeordnete soll Strafverfolgung eingeleitet werden – steht das zu, das ist Meinungsfreiheit.
Aber wo sind Sie, Herr Bundeskanzler, wenn es darum geht, die Meinungsfreiheit der Demonstranten zu verteidigen? Stellen Sie sich hierher und sagen Sie mit derselben Entschlossenheit: Es gilt das Rede- und Meinungsfreiheitsrecht in Österreich; jeder Mensch, jede Frau in unserem Lande hat das Recht, zu demonstrieren und seine Meinung zu sagen, auch gegen mich als Bundeskanzler, auch gegen diese Bundesregierung; wir müssen uns darauf einstellen, dass jeder Mensch in unserem Land mit dieser Bundesregierung nicht unbedingt einverstanden sein muss. – Wo sind Sie da, Herr Bundeskanzler? (Präsident Dipl.-Ing. Prinzhorn übernimmt wieder den Vorsitz.)
Ich erwarte mir von Ihnen, Herr Bundeskanzler, schon etwas mehr als das vornehme Schweigen und den vornehmen Rückzug auf die bürgerliche Grundtugend der Redefreiheit, der Meinungsfreiheit. Etwas mehr wird von Ihnen gefordert werden. Gefordert sind klare Ansagen, wo Sie politisch stehen und ob Sie weiterhin mit diesen Freiheitlichen gemeinsam dulden und billigen, dass auf die Exekutive, auf die Justizbehörden im Stadium der Ermittlung losgegangen wird, dass versucht wird, Ermittlungen zu unterbinden, Ermittlungen zu beeinflussen, Ermittlungen zu verunmöglichen mit allen möglichen Gegenoffensiven, die der Herr Westenthaler schon seit Monaten in rollender Perspektive erfunden hat und die alle dann irgendwo gleich wieder abgestürzt sind!
Wo sind denn die Gegenoffensiven des Herrn Westenthaler geblieben? Er kündigt uns ein um das andere Mal an: Jetzt kommt der ultimative Enthüllungsschlag! (Abg. Dr. Pilz: Der ultimative Schuss ins Knie!) Aber das ist nicht einmal ein kleiner Patsch aufs Wasser, Herr Westenthaler. Das ist wirklich jämmerlich, was Sie bisher in dieser Beziehung geboten haben an "Enthüllungen", an "großer Konteroffensive"! Aber Sie haben nichts unterlassen – das andere ist Ihr Problem, Herr Westenthaler –, um in diesen letzten Wochen und Monaten die Justiz und die Exekutive anzuschütten – gemeinsam mit Regierungsmitgliedern der Freiheitlichen Partei.
Das ist unerträglich, Herr Bundeskanzler! Deshalb fordern wir von Ihnen ein klares Wort ...
Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Den Schlusssatz bitte, Herr Abgeordneter! (Abg. Dr. Krüger: Ein klares Schlusswort! – Abg. Schwarzenberger: Einen klaren Schlusssatz!)
Abgeordneter Karl Öllinger (fortsetzend): Sie zwingen mich zum Schlusssatz, Herr Präsident.
Deshalb, Herr Bundeskanzler, erwarten wir von Ihnen Stellungnahmen, die über diese knappen und dürftigen Worte, die Sie heute im "Morgenjournal" in dieser Causa von sich gegeben haben, etwas hinausgehen. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Dr. Pittermann. )
17.02