Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 55. Sitzung / Seite 67

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Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. – Bitte.

12.11

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Überhaupt alle Damen und Herren auf der Regierungsbank! Meine Damen und Herren! Ich werde zunächst kurz etwas über Nizza sagen und dann auf den Heldenplatz und die so genannten Sanktionen eingehen – also spiegelverkehrt zu Ihrem Aufbau, Herr Kollege Khol, vorgehen. (Abg. Ing. Westenthaler: Referiert das Inhaltsverzeichnis!)

Herr Bundeskanzler Schüssel! Natürlich ist an dem Vertrag von Nizza nicht alles schlecht. Das steht ja außer Frage. Wir finden es auch sehr gut, dass das Verfahren, das Procedere für die Wahl des Präsidenten der Kommission erleichtert, vereinfacht worden ist. Wir finden es insbesondere sehr gut, dass die Rechte des Kommissionspräsidenten gestärkt worden sind, insbesondere das Recht der Entlassung eines anderen Kommissionsmitgliedes. Und es gibt noch einige andere Punkte.

Aber da meine Zeit beschränkt ist, gehe ich nur auf das ein, was wir als besonders kritisch ansehen. Das ist erstens die fehlende Demokratisierung, fehlende Schritte in der Demokratisierung der Union, und zweitens die Frage, ob sich die EU wirklich handlungsfähiger gemacht hat in Bezug auf die Erweiterung. Das ist die große Preisfrage.

Was die Demokratisierung betrifft, Herr Bundeskanzler beziehungsweise Herr Kollege Khol, werden Sie mir, wie ich meine, ja zustimmen, das war ja praktisch nicht Thema dieses Ratsgipfels. Da ist überhaupt nichts weitergegangen, auch nicht bezüglich zusätzlicher Rechte, wesentlicher zusätzlicher Rechte des EU-Parlaments. Das war einfach nicht auf der Tagesordnung. Das war nicht Thema dieses Gipfels.

In diesem Zusammenhang, was anscheinend im Wesentlichen auch nicht Thema war, ist die Gewaltenteilung innerhalb der EU, wie wir sie auf nationaler Ebene seit Jahrzehnten – seit Jahrhunderten wäre übertrieben gesagt –, seit Jahrzehnten kennen, die Trennung zwischen Legislative, Exekutive und Justiz und wie das auf EU-Ebene aussieht, in erster Linie mit der Dominanz des Rates.

An dieser Dominanz des Rates hat sich in Nizza, nach Nizza nichts verändert. Daher war ich sehr froh, von Bundeskanzler Schüssel heute zu hören, dass auch er einen Post-Nizza-Prozess unterstützt, zum Beispiel in einem Verfahren angenähert dem Konvent, wie er bei der Entwicklung der Grundrechtscharta vorgenommen wurde. Das ist ein ganz wichtiger Gedanke. Wenn in den kommenden Monaten klar wird, dass es einen ernst zu nehmenden Post-Nizza-Prozess geben wird, einen Verfassungsprozess, einen Prozess, der sich ernsthaft mit der Frage der Kompetenzabgrenzungen zwischen der EU und den einzelnen Mitgliedstaaten befasst, ist das für die Frage unserer Ratifizierung des Nizza-Vertrages nicht unwichtig. Ich sage es einmal so. Gegenwärtig stehen die Zeichen nicht auf Zustimmung.

Das zweite große Problem ist die Handlungsfähigkeit, die Effizienz, wenn Sie so wollen, der Entscheidungsfindung in der EU. Bundeskanzler Schüssel selbst hat ja die Frage behandelt, dass die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit bei weitem nicht in jenem Maße ausgebaut wurde, wie dies der Fall hätte sein müssen, und zwar schon in Bezug auf die 15, geschweige denn in Bezug auf 20 oder 27 Mitglieder der Union.

Aber nicht nur das. Die Beschlussfassung wurde nicht nur nicht vereinfacht, sondern sie wurde noch erschwert durch dieses dritte Erfordernis der Bevölkerungsmehrheit bei bestimmten Entscheidungen. Also mit einer Erhöhung der Sperrminoritäten bei Beschlussfassung in der EU wird man die Erweiterung sicher nicht wirklich betreiben können.

Es wurden in Nizza bestimmte technische Voraussetzungen erfüllt: Stimmgewichtung im Rat, Sitze der neuen Mitgliedsländer im EU Parlament, aber was darüber hinausgeht, ist nicht gelöst, und das enttäuscht uns Grüne ganz besonders, weil wir Erweiterungsbefürworter sind. Wir


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