Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 77. Sitzung / Seite 128

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deswegen, weil die Gewerkschaft versucht hat, sich dieser Debatte weitgehend zu entziehen, und so getan hat, als gäbe es überhaupt keine Krise.

Natürlich, Kollege Verzetnitsch, gibt es eine Krise der Gewerkschaft. Es gibt eine Krise der Gewerkschaft allein schon deshalb, weil die Zeiten, in denen die Gewerkschaften in Österreich ihre alte Politik der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gepflogen haben, in dieser Form vorbei sind, weil die Gewerkschaften nach wie vor noch denken, dass diese Form der Politik, bei der sich einige wenige Spitzenrepräsentanten auf beiden Seiten das ausmachen, was sie dann ihren Mitgliedsorganisationen quasi anschaffen, die Perspektive für die Zukunft sein könnte. Und wahrscheinlich deshalb, Kollege Verzetnitsch, wurden auch aus dem ÖGB heraus noch keine Vorschläge zur Demokratisierung der Gewerkschaft gemacht. Deshalb handelt es sich um eine Krise.

In dieser Debatte um die Gewerkschaften, in der berechtigterweise die Frage nach dem Einkommen nicht nur des Postgewerkschaftsvorsitzenden, sondern auch seiner Stellvertreter gestellt wurde, in der berechtigterweise gefragt wurde: Warum zu diesem Zeitpunkt? Wie sieht das insgesamt aus mit Mehrfachfunktionen? Was kann eine Person erfüllen?, in der berechtigterweise auch darüber diskutiert wurde, warum die Mitglieder nichts davon wissen, dass sich die Gewerkschaftsspitzenfunktionäre in der Postgewerkschaft das genehmigt haben – das haben offensichtlich nicht einmal die Funktionäre selbst gewusst –, in dieser Debatte sind also Fragen aufgetaucht, die sehr elementar waren. Und da genügt es dann nicht, zu sagen: Der Rücktritt dieses einen Spitzenrepräsentanten der Postgewerkschaft erledigt alle diese Fragen.

Innerhalb der Fraktion Christlicher Gewerkschafter gibt es jetzt Gott sei Dank nach wie vor noch eine Debatte, die manchmal sogar öffentlich wird, um den Rücktritt des stellvertretenden Vorsitzenden der Postgewerkschaft. Ich denke, es wäre eigentlich an der Zeit gewesen, nicht nur die Frage nach dem Rücktritt des gesamten Gremiums bei der Postgewerkschaft aufzuwerfen, sondern sich grundsätzlich die Frage zu stellen: Wie kann ein Spitzengewerkschafter überhaupt abgewählt werden?

Wir haben uns diese Frage gestellt. Das Statut der Postgewerkschaft sieht keine Abwahl des Vorsitzenden vor. Es gibt in einer ganz wichtigen und, wie ich meine, unverzichtbaren Einrichtung wie der Gewerkschaft offensichtlich keine Regulative, in denen darüber nachgedacht und geregelt wird, dass ein Spitzengewerkschafter auch einmal zum Rücktritt aufgefordert werden kann. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Kollege Verzetnitsch und Herr Kollege Nürnberger! Das ist keine Bösartigkeit von uns, sondern darüber muss schleunigst nachgedacht werden.

Ich kann Ihnen bei dieser Gelegenheit aus einem Briefwechsel, den ich vor zwei Tagen erhalten habe, in groben Zügen Folgendes mitteilen: Einem Gewerkschaftsmitglied, das seit 30 Jahren Mitglied bei einer Einzelgewerkschaft ist – ich werde sie hier genauso wenig nennen wie den Namen des Gewerkschaftsfunktionärs, der geantwortet hat –, ist anlässlich dieser Debatte aufgefallen: Er ist seit 30 Jahren bei einer Gewerkschaft, aber noch nie bei einer Mitgliederversammlung gewesen. Gibt es eigentlich überhaupt eine Mitgliederversammlung?

Des Weiteren fällt ihm auf: Er ist jetzt Pensionist, und es ist eine Pensionistensektion gegründet worden, deren Vertreter, schreibt er, aber schon im Voraus bestimmt waren – er wäre gerne dabei gewesen.

Er ist ein rühriger, aktiver Kollege, in diesem Fall einer, der den Grünen nahe steht. Er schreibt einen Brief an die Gewerkschaft, und die schreibt ihm dann zurück: Ich werde diese Fragen, die Sie gestellt haben, an die Einzelgewerkschaften weiterleiten. Ich kann Ihnen mittlerweile die Statuten des ÖGB übermitteln.

Dieser Mensch macht sich die Mühe und schaut sich die Statuten des ÖGB genau an, um zu erfahren, was die dazu sagen. Es fällt ihm der Satz auf: Die Delegierten der einzelnen Gewerkschaften werden vom Vorstand gewählt. Ihm fällt dazu ein: Für mich klingt das sehr nach demokratischem Zentralismus, von dem ich angenommen habe, dass er bereits der Vergangenheit


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