Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 84. Sitzung / Seite 85

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Herr Finanzminister! Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie mit Hilfe der Budgetpolitik, vor allem eines erhöhten Budgetdefizits, die globale Konjunkturlage ändern können. Sie können das nicht einmal in Österreich allein! Es wäre ja völlig unrealistisch, das zu erwarten. Dafür ist Österreich zu klein, und dafür sind die Sickereffekte einer expansiven Budgetpolitik zu groß.

Aber was Sie schon tun können und tun sollen, sind zumindest drei Dinge, Herr Finanzminister:

Erstens: Sie müssen die automatischen Stabilisatoren im Budget durchschlagen lassen. Das heißt, wenn die Konjunkturlage dazu führt, dass die Einnahmen sinken und die Ausgaben etwas steigen, dann lassen Sie das bitte im Budget zu! Versuchen Sie, einige Investitionen, vor allem im Infrastrukturbereich, vorzuziehen, und nehmen Sie das etwas höhere Budgetdefizit in Kauf! Das tun alle Finanzminister dieser Welt, denen an der Arbeitsmarktlage etwas liegt, vor allem jene in den USA. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Zweitens: Versuchen Sie, auch auf EU-Ebene diesen Gedanken zu vertreten! Sie werden da auf offene Ohren stoßen. Vertreten Sie vor allem den Gedanken: Die EU sollte sich weniger an der Ideologie der vergangenen zehn Jahre im Zuge des Maastricht-Vertrages ein Vorbild nehmen, sondern sich im Bereich der Budgetpolitik eher an den USA orientieren, an der Politik der amerikanischen Zentralbank, an der Politik des amerikanischen Finanzministers, egal, ob unter Clinton oder jetzt unter Bush, und nicht Parallelpolitik klassischen Musters fahren.

Drittens: Versuchen Sie, Herr Finanzminister, auf EU-Ebene die Interpretation des Stabilitätspakts etwas aufzuweichen, etwas zu ändern, sagen wir: zu ändern. Im "Economist" – sicherlich eine unverdächtige Quelle, Herr Trattner; das ist ein konservativ-liberales Blatt im Großen und Ganzen, würde ich sagen –, in eben dieser Ausgabe vom 25. August, finden Sie einen Artikel zum Stabilitätspakt auf EU-Ebene, der überschrieben ist mit den Worten: "Scrap the stability-pact!" Mit anderen Worten: In den Papierkorb mit dem Stabilitätspakt! Das macht viel Sinn! Ich weiß, dass das auf kurze Sicht unrealistisch ist, aber es macht viel Sinn.

Ich möchte jetzt nicht, obwohl es mich reizt, wiederholen, was die theoretische, praktische, empirische Kritik an dieser Art von Stabilitätspakt ist, den wir auf EU-Ebene haben. Nur zur Erinnerung: Eingebrockt hat uns das der seinerzeitige deutsche Finanzminister Waigel, CDU/CSU, im Vorfeld der Währungsunion. Das war ein Versuch, die deutsche Bevölkerung zu beschwichtigen, weil sie sich geängstigt hat, was passieren wird, wenn Italien Mitglied der Währungsunion wird. Das war der politische Hintergrund des Stabilitätspakts. Er ist weder theoretisch rechtfertigbar, noch hat er eine empirische Basis.

Was meine ich mit anderer Interpretation? Es würde schon viel erreicht sein, würde man im Stabilitätspakt die berühmten Defizitgrenzen auf das strukturelle Defizit abstellen – nicht auf das aktuelle Defizit, sondern auf das strukturelle Defizit. Dann hat man etwas mehr Spielraum bei der Reaktion auf die Konjunkturlage.

Das täte Ihnen nicht weh, Herr Finanzminister. Ich habe schon gesagt, dass sich in Österreich das strukturelle Budgetdefizit deutlich verringert hat und wir einen strukturellen Budgetüberschuss zu erwarten haben. Das täte Ihnen nicht weh, hätte aber in der praktischen Politik enorme Auswirkungen.

Ich habe mich jetzt beschränkt und konzentriert auf Budgetsalden und sozusagen die Makropolitik und lasse alle Mikromaßnahmen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik, der Arbeitslosenunterstützung und so weiter weg.

Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Herr Finanzminister! Sie haben Erfolge im Bereich des strukturellen Budgetdefizits erzielt. Bitte lassen Sie jetzt, in dieser Konjunkturlage, die so genannten automatischen Stabilisatoren im Budget wirken! Das heißt: Lassen Sie höhere Ausgaben beziehungsweise niedrigere Steuereinnahmen auf das Defizit durchschlagen! Das tut dem Arbeitsmarkt gut.


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